Die Unschuld der Rose
die Wunden lecken.
An seine Wunden konnte Grace im Moment keine Gedanken verschwenden, zu tief waren ihre Verletzungen.
Den Blick fest auf die Baumwipfel gerichtet, lag Rafael auf dem zerwühlten Bett. Angestrengt versuchte er, das unbekannte Gefühl in seinem Innern zu begreifen.
An Selbstbetrachtungen oder Analysen nicht gewöhnt, gab er fast augenblicklich wieder auf.
Grace hat recht, sagte er sich. Er war kalt und fühlte nichts. Aber warum hielt sie das für schlecht? Seiner Meinung nach war das sogar sehr gut. Er wollte es nicht anders und hatte sogar hart gearbeitet, um diesen Zustand zu erreichen.
Und die letzte Nacht war fantastisch, der Sex atemberaubend gewesen. Und überraschend. In einem Moment war Grace schüchtern, im nächsten wundervoll hemmungslos.
Rafael runzelte die Stirn. Eine Sekunde lang hatte er geglaubt, sie sei noch Jungfrau. Der Gedanke war ihm entfallen, da seine süße Geliebte so leidenschaftlich und sehnsüchtig auf ihn reagiert hatte.
Als er jetzt zu der Tür schaute, seufzte er. Grace hatte sie so fest hinter sich ins Schloss fallen lassen, dass der Rahmen wackelte. Rafael schloss die Augen. Wie hatte er je glauben können, das Leben könne einfach sein?
Sobald es um eine Frau ging, war das Leben nie einfach. Und sosehr Grace Thacker ihn auch in mancher Hinsicht überraschte, letztendlich war sie doch wie alle anderen Frauen.
Nicht nur weil ihr Lebensziel darin bestand, viel Geld mit wenig Arbeit zu verdienen. Grace trieb auch die üblichen Spielchen, die jede Frau probierte, wenn sie mit einem Mann ins Bett ging. Warum nahm sie Sex nicht einfach als das, was es war?
Frustriert sprang er aus dem Bett und lief im Zimmer auf und ab, um die Gedanken zu ordnen.
Warum musste sie alles so kompliziert machen? Warum führte sie so unermüdlich ihren sinnlosen Kreuzzug, in dem sie ihn von ihrer Unschuld überzeugen wollte? Weshalb konnte sie nicht einfach damit aufhören?
Was auch immer der Grund sein mochte, für ihn war die Sache erledigt.
Er würde heute persönlich dafür sorgen, dass die Karriere dieses gierigen Kaffeehändlers ein abruptes Ende fand.
Als Mann mit einer Mission ging Rafael in sein Büro, um einige Telefonate zu führen.
8. KAPITEL
In großer Bestürzung über ihren Streit, eilte Grace mit schnellen Schritten durch den Regenwald. Sie folgte dem Pfad zum Pool, dessen Wasser sich gestern Abend als so beruhigend erwiesen hatte.
Mit welchem Recht war sie so erschüttert?
Hatte er ihr Versprechen gemacht? Nein.
Warum fühlte sie sich dann so im Stich gelassen? So enttäuscht?
Weil sie geglaubt hatte, etwas in ihm gesehen zu haben.
Nie in ihrem Leben war Grace so durcheinander gewesen. Ein Teil von ihr wollte zurück ins Haus, wollte sich neben Rafael ins Bett legen und alle Komplikationen vergessen. Er war fähig, ihre Beziehung in einfache Begriffe zu fassen. Warum gelang es ihr nicht auch?
Die Antwort lag in dem einen fundamentalen Unterschied zwischen ihnen.
Trotz allem, was ihr im Leben widerfahren war, hatte sie die Hoffnung nie aufgegeben. Wohingegen Rafael …
Traurigkeit stieg in ihr auf, als sie die Wahrheit über ihn erkannte. Irgendwann in der Vergangenheit hatte er alle Hoffnung aufgegeben.
Blicklos marschierte Grace weiter. Erst nach zwanzig Minuten fiel ihr auf, dass sie immer noch nicht beim Pool angelangt war. Auch der Wasserfall war nicht zu hören. Was bedeutete, dass sie irgendwie, irgendwo die falsche Abzweigung genommen hatte.
Sie blieb stehen und sah sich um. Die Umgebung kam ihr entsetzlich unbekannt vor.
Waren sie gestern hier entlanggekommen?
War sie, ohne es zu bemerken, am Pool vorbeigegangen?
Am besten machte sie nun kehrt. Erst auf dem Rückweg wurden ihr das Kreischen, die Rufe und die vielen fremdartigen Laute des Dschungels bewusst. Die Blätter der Büsche raschelten. Über sich entdeckte sie eine große Spinne in ihrem Netz.
Gestern, an Rafaels Seite, hatte Grace sich völlig sicher gefühlt. Aber jetzt, allein in dem undurchdringlichen Grün, breitete sich Furcht in ihr aus.
Angst hilft mir jetzt nicht weiter, ermahnte sie sich, blieb dann aber voller Verzweiflung stehen, als sie eine Weggabelung erreichte. Links oder rechts? An diese Abzweigung konnte Grace sich überhaupt nicht erinnern. Und nun wurde es ihr fast unmöglich, nicht in Panik zu verfallen.
Ich kann nicht weit vom Haus entfernt sein, überlegte sie. Sie war vielleicht zwanzig Minuten unterwegs. Früher oder später würde jemand sie finden.
Oder
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