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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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Niederbayern, wo er in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist. Das Abitur hat er nicht geschafft und einen Hörsaal niemals auch nur von innen gesehen, und das Einzige, was jemals größer war als seine Prüfungsangst, war sein Geltungsbedürfnis, seine Geltungssucht. Auf die ich reingefallen bin.«
    Zur Wahrheit gehörte aber auch, dass Lutz Meier alias Markus vom Haff tatsächlich als Kinderarzt im Klinikum Eppendorf arbeitete und dort seinen Dienst mit der Verlässlichkeit eines Funkuhrwerks leistete. Bis ihm dann an einem Tag gleich zwei Kinder, ein Säugling und ein Dreijähriger, der nach einem Sturz mit nicht weiter lebensbedrohlichen Verletzungen eingeliefert worden war, durch seine unsachgemäße Behandlungsmethoden wegstarben. Reines Glück sei es gewesen, schrien die Zeitungen, dass seinen »Mörderhänden« nicht noch mehr und viel früher schon Kinder zum Opfer gefallen seien.
    Der sich anschließende Prozess brachte den Rest der Geschichte, soweit sie sich als Wahrheit verifizieren ließ, ans Licht.
    Klaus musste im Prozess aussagen, der wohl schmerzhafteste Moment seines Lebens, denn dabei musste er endgültig feststellen, dass buchstäblich alles, was er über seinen Freund zu wissen glaubte, erstunken und erlogen war. Nicht einmal schwul war Lutz Meier wirklich. In Bayern warteten noch immer Ehefrau und Kleinkind auf ihn.
    »Im Prozess sagte er aus«, berichtete mir Klaus, »er habe deshalb schwul gelebt, weil es ihm am besten zum Leben dieses Markus vom Haff zu passen schien.« Dabei brach seine Stimme.
    Lutz Meier alias Markus vom Haff wurde verurteilt, weil er den Unterhalt für sein Kind schuldig geblieben war, wegen Urkundenfälschung und wegen Totschlags, wofür er selbst plädiert hatte, wohingegen sein Verteidiger es mit fahrlässiger Tötung versucht hatte. Weil ihm außerdem bescheinigt wurde, einen ordentlichen Sprung in der Schüssel zu haben, kam er nicht in den Knast, sondern in eine geschlossene psychiatrische Anstalt, wo man ihn nun in erster Linie zu therapieren versucht. Klaus hätte sicherlich ebenfalls eine Therapie gebraucht, so gehemmt im Umgang mit anderen Leuten, wie ihn die Sache zurückließ. Wegen dieses Idioten Lutz Meier brauchte er bald zwei Wochen, um endlich auch mit mir schlafen zu können, zwei beinahe vergeudete Wochen, bedenkt man, wie wenig gemeinsame Zeit uns letztendlich vergönnt war.
    »Was hast du so anziehend an ihm gefunden, Klaus?«, fragte ich ein ums andere Mal.
    »Warum willst du das denn unbedingt wissen?«, fragte er jedes Mal zuerst zurück.
    »Nur so.«
    »Nur so?«
    »Ja, okay. Ich will einfach verstehen – und dich dadurch besser kennenlernen.« Und mich, fügte ich in Gedanken hinzu, denn je länger ich mit Klaus zusammen war, desto mehr kam auch ich mir vor wie ein Schwindler und Hochstapler, der das in ihn gesetzte Vertrauen eigentlich gar nicht verdiente, es nicht wert war.
    »Gut«, sagte er und zuckte resignierend mit den Schultern. »Was genau willst du wissen? Stell mir konkrete Fragen, und ich werde mich bemühen, dir so konkrete Antworten wie möglich zu geben.«
    »Fandst du ihn attraktiv?« Ich kam mir selber dumm vor, ausgerechnet danach zu fragen, aber anders wusste ich einfach nicht zu beginnen.
    Klaus schüttelte nur den Kopf, lächelte sogar unwillkürlich, jedoch weniger spöttisch als vielmehr geschmeichelt, würde ich sagen. Ganz offensichtlich glaubte er, ich wäre eifersüchtig auf den elenden Blender.
    »So wie mich?« Ich sah ihn bange an.
    »Du meinst: auf dieselbe Art und Weise?«
    Ich suchte nach den richtigen Worten, wackelte, die richtigen Gedanken abwägend, unschlüssig mit meinem alles andere als weisen Haupt, mich auf einmal nicht mehr wirklich trauend, zu konkret zu werden. Aber ich konnte jetzt natürlich auch nicht mehr zurück, die Büchse der Pandora war geöffnet, und zwar durch meine Idiotenhand. Also raffte ich mich auf und fragte schließlich mit einem schalen Grinsen auf den Lippen: »Fangen wir mit dem Äußerlichen an.«
    »Wie oberflächlich«, bekam ich zu hören. »Sollten nicht die inneren Werte mehr zählen?«
    »Sollten sie. Eigentlich«, gab ich zu. Aber auch Meiers-vom Haffs äußeres Erscheinungsbild war für mich im Laufe der Zeit immer wichtiger geworden, wenn nicht gar zu so etwas wie einer fixen Idee: Wie weit ging die Ähnlichkeit zwischen ihm und mir? Ich konnte es einfach nicht sagen, obwohl ich mir wieder und wieder die von ihm in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckten Fotos

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