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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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nehmen kann.«
    »Mit der Charakterisierung kann ich leben.«
    »Und das ist es, was ich meine, wenn ich davon spreche, dass du echter bist als Markus-Lutz. Von dir kommt auch mal Widerspruch, ein Nein, wenn du etwas nicht willst. Du hast keine Angst davor, negativ aufzufallen, anzuecken. Er war da ganz anders. Von ihm habe ich nie ein Nein gehört. Worum ich ihn gebeten habe, das hat er sofort gemacht. Lieber hätte er sich beide Beine ausgerissen, als Widerspruch zu ernten oder sich eine Zurückweisung einzufangen oder auch nur Enttäuschung meinerseits herauszufordern.«
    Klaus’ Stimme wurde leiser, schien jetzt tiefer aus dem Innern zu kommen, von dort, wo die Narben saßen und das Unverständnis über das eigene, heute nicht mehr nachvollziehbare Verhalten.
    »Im Nachhinein weiß ich nicht«, fuhr er fort, »warum mir das damals nicht aufgefallen ist. Im Nachhinein betrachtet war doch alles falsch an ihm, buchstäblich alles.«
    »Du hast ihn geliebt«, schlug ich zögerlich als Erklärung vor.
    »Ja«, stimmte er zu. »Zum ersten Mal seit vielen Jahren war ich wirklich wieder verliebt. Zum ersten Mal seit Georgs Aids-Tod 1987. Das war so schrecklich gewesen, nicht nur sein Tod an sich, sondern auch die ganzen gesellschaftlichen Umstände, unter denen er stattfinden musste, dass ich lange geglaubt hatte, mich niemals mehr davon erholen zu können, so traumatisierend war das alles gewesen damals. Doch dann kam Mr. Perfect, und ich fiel sofort auf ihn herein.«
    Klaus schnaubte jetzt wütend wie ein gereizter Stier beim Anblick des roten Tuches.
    »Ich hätte einfach etwas merken müssen, gerade nach den Erfahrungen rund um Aids, was viele, die ich vorher noch für gute und verlässliche Freunde gehalten hatte, panikartig in die Flucht getrieben hatte. Gerade danach hätte ich fähig sein müssen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Stattdessen bin ich voll in die Falle getappt.«
    Was hätte ich darauf antworten, womit ihn trösten sollen? Das war mehr Enthüllung gewesen, als ich jemals vermutet oder gewünscht hätte. Zum Zeitpunkt dieses Gesprächs, das so ziemlich den Abschluss meiner geradezu obsessiven Verfolgung des Themas Lutz Meier-Markus vom Haff darstellte, waren wir seit ungefähr zehn Wochen inoffiziell und seit sechs Wochen offiziell ein Paar. Da hatte nämlich die Hamburger Morgenpost über einen Kinobesuch von uns berichtet, mit Bild und nicht ohne in der nur briefmarkengroßen Meldung in der Hauptsache von der ›Verstrickung Klaus Brandstätters in den Täuschungsskandal vom Haff‹ zu berichten, während ich nur ganz am Rande Erwähnung fand. Das hatte mich sehr geärgert, mich in meiner Eitelkeit verletzt, aber wie sich jetzt herausstellte, war nicht nur meine Gegenwart auf eine unstatthafte Randnotiz reduziert worden. Auch Klaus hatte bereits ein Leben vor dem ›Täuschungsskandal‹ gehabt, eins, von dem ich nicht einmal auch nur ansatzweise etwas geahnt hatte, obwohl ich da schon längst in seinem Haus ein und aus ging.
    Dort hingen viele Bilder, Fotografien nicht nur von seinen Eltern und anderen Verwandten, sondern auch von einem jungen Mann, dunkelhaarig, mit strahlendem Lächeln und klaren Augen, mehr mir ähnlich sehend als dem Hochstapler. Wie sich jetzt herausstellte, waren es Bilder einer großen Liebe, die sich in eine schreckliche Tragödie verwandelt hatte – und Bilder, die ich mitsamt ihrem Hintergrund bisher vollständig ignoriert hatte. Eine Ignoranz, die ich mit meiner Verliebtheit entschuldigen konnte, ohne dass dies gelogen gewesen wäre. Ich war so verliebt in Klaus gewesen, dass ich in dieser frühen Phase unserer Beziehung überhaupt nicht fähig war, etwas anderes als ihn und mich und eben, weil er einfach zu faszinierend leuchtete wie eine dieser fluoreszierenden Kreaturen aus der Tiefsee, den Blender zu sehen, zu bewältigen. Und Klaus wohl auch in mich, sodass auch er bisher nicht über diese Bilder hatte sprechen wollen oder müssen und es vielleicht niemals getan hätte, hätte ich nicht so unermüdlich und unverfroren in dieser frischeren Wunde gebohrt und darunter die ältere freigelegt.
    Georg lautete also der Name dieses meines vielleicht wichtigsten Vorgängers. Georg. Aufstrebender Regisseur am Schauspielhaus Hamburg, schon früh aktiv in der Schwulenbewegung und auch sonst ein politischer Mensch. Einer, der sich auch nicht von seiner HIV-Infektion und Aids-Erkrankung in die Schranken weisen ließ. Bis zu seinem viel zu frühen Tod, nachdem das Virus eben

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