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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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gern.«
    »Das ist dann ja ein echtes Rendezvous. Ich glaube, so etwas hatte ich noch nie.« Und das entsprach der Wahrheit.
    »Nicht? Na, dann wird’s aber mal Zeit! Hol deine Sachen, und lass uns losgehen.«
    Beim Verlassen der Fähre spüre ich es plötzlich wie einen Schlag auf den Hinterkopf, als ich all die anderen Passagiere mit ihren Plastiktüten aus dem Schiffsshop sehe: Warum habe ich mir eigentlich keine geben lassen, als ich mir das Tuch kaufte? Darin hätte ich meinen vollgekotzten und durchnässten Schal mitnehmen, bis zur nächsten Waschmaschine transportieren und ihn so retten können! Ich überlege, ob ich schnell zurückgehen soll, entscheide mich dann aber dagegen: Was weg ist, ist weg. Auch wenn ich noch so sehr an diesem Schal gehangen haben mag, ich werde seinetwegen nicht im Müll rumwühlen. Irgendwann werde ich schon einen vernünftigen Ersatz für ihn finden.
    Klaus fühlte sich zu mir hingezogen, das war offensichtlich; er war vom ersten Blick an ebenso in mich verliebt gewesen wie ich in ihn. Er begehrte mich und bisweilen fiel es ihm sehr, sehr schwer, meinen kleinen Einladungen, doch endlich Besitz von mir zu ergreifen, zu widerstehen. Er traute sich nur nicht. Zuerst dachte ich, er würde mir nicht trauen – was er im Endeffekt ja auch besser nicht getan hätte. Stattdessen war es eher so, dass er sich selbst, seiner Menschenkenntnis und dem Urteil über seine eigenen Gefühle nicht mehr traute. Obwohl schon beinahe fünfzig und reich an Lebenserfahrung, war etwas passiert, dass sein ganzes Selbstbewusstsein komplett untergraben, das ihn völlig ausgehöhlt und verletzt zurückgelassen hatte – und nebenbei auch noch zum Gespött der Leute hatte werden lassen. Infolgedessen hatte er sich knapp zwei Jahre lang fast vollständig aus der Gesellschaft zurückgezogen und gerade erst wieder damit begonnen, seinen Platz in dieser erneut einzunehmen, vorsichtig, tastend, jeder ihm entgegengebrachten Freundlichkeit misstrauend. Unter dieser Abwesenheit hatte wohl auch sein Verhalten als Käufer auf dem Kunstmarkt gelitten, weshalb es nun meinem Galeristen besonders wichtig war, mit mir als neuem Vorzeigemodell wieder das Interesse dieses potenten Kunden für sich zu wecken. Dass dann so etwas passierte, Liebe, hatten weder mein Galerist noch Klaus vorhergesehen oder ich mir in dieser Klarheit erträumt.
    In bald langen, bald kurzen Einzelstücken erzählte Klaus mir diese unglaubliche abenteuerliche Begebenheit, nicht chronologisch und manchmal noch zutiefst aufgewühlt und manchmal mit der sachlichen Kälte eines Chirurgen, der nekröses Gewebe entfernt. Dem war schwer zu folgen, zumal ich alles, was Klaus mir vertraulich erzählte, automatisch mit dem verglich, was ich von den Klatschmäulern der guten Gesellschaft hörte und in den Zeitungen darüber las, die die Geschichte noch einmal aufgriffen, als Klaus und ich kurzzeitig das neue Traumpaar der Hamburger High Society gaben. Dadurch ließ sich das Puzzle natürlich nur noch schwerer zusammensetzen, und ich stand des Öfteren vor dem Scheideweg, ob ich nun eher der regenwettergrauen Version aus Klaus’ berufenem Munde glauben sollte oder der regenbogenbunten, die sogar auf mich sehr anziehend wirkte. Trotzdem glaube ich heute, die echten Fakten zum richtigen Mosaik zusammengesetzt zu haben.
    Markus vom Haff nannte sich der Hochstapler – und warum nicht allein schon bei einem solchen Namen sämtliche Alarmglocken geläutet haben, ist wohl nur zu verstehen, wenn man Angehöriger der Oberschicht ist – und war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren. Er behauptete, einem alten baltendeutschen Adelsgeschlecht zu entstammen, welches durch den Vormarsch der Roten Armee alles, vom Besitztum bis zur Heimat, verloren hätte. Man hätte fliehen müssen und wäre schließlich nach dem Krieg in Süddeutschland gelandet, wo man in ganz bescheidenen Verhältnissen den Wiederaufstieg in Angriff genommen hätte. Der wäre immerhin so gut gelungen, dass man es zu neuem Wohlstand und einer altruistischen Weltsicht gebracht hätte, weshalb er eben auch Kinderarzt geworden sei, der lange für Ärzte ohne Grenzen als Kinderarzt in Afrika gearbeitet hätte. Nach Hamburg wäre er nur gekommen, um sich mal wieder auf den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik zu bringen.
    »Die Wahrheit sah da schon weit weniger glamourös aus«, fasste Klaus es kurz für mich zusammen. »Sein richtiger Name war Lutz Meier, er stammt aus einer Kleinstadt in

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