Die unsicherste aller Tageszeiten
ausgestorben, und das ist ein schöner Eindruck, ein so friedlicher. Selbst noch den hartgesottensten Urlauber bringt dieses Wetter, das nicht Fisch, nicht Fleisch ist, dazu, lieber in seiner Unterkunft zu bleiben und sich bei Tee mit Rum und Zitrone oder einem schönen heißen Grog zu wärmen. Ich kann die Leute regelrecht hinter ihren Vorhängen und Gardinen spüren, wie froh sie darüber sind, bei dieser wattenmeertypischen Nasskälte nicht vor die Tür zu müssen. Wenn denn nur wirklich ein Sturm pfeifen würde, kann ich ihre Gedanken hören, würden nur wirklich die Elemente den Aufstand proben, Wind und Wellen uns herausfordern, dann hielte uns nichts mehr drinnen, dann würden wir in Friesennerz und Gummistiefeln über die Deiche toben und uns den Urgewalten direkt an der Wasserkante stellen. Nur noch Wollsachen drunterziehen und schon könnte es losgehen. Der Wind aber hat sich bloß zu einer gleichmäßig starken – oder schwachen, je nachdem – Brise verfestigt, die permanent mikroskopisch kleine Nieselregenpartikel vor sich hertreibt, die einfach alles durchdringen: Ölzeug, Stoff, Haut und Knochen. Das macht keinen Spaß, da friert man schon nach wenigen Metern, und egal, wie viele Schritte man auch tut, es wird einem dabei nicht warm.
Ich mag dieses Wetter auch nicht sonderlich, es ist so unausgegoren, nichts Halbes und nichts Ganzes. Mir kommt es jetzt nur insofern zupass, dass ich so nicht Gefahr laufe, über einen anderen Menschen zu stolpern, einen Gassigeher oder doch ganz Unerschrockenen etwa. Sehen könnte ich ihn schon nicht mehr, weil ich längst wieder tief in Erinnerungen versunken bin, in eine von Wehmut unendlich schwere und schöne. An einen Nachmittag mit Klaus hier, vor unzähligen Jahren, wie mir plötzlich scheint, an dem das Wetter nahezu identisch gewesen war und wir kurzerhand beschlossen hatten, ihn komplett in der Badewanne zu verbringen. Ich hatte uns noch schnell Kuchen aus dem Ort geholt, während Klaus bereits das Wasser einließ, Kerzen anzündete und Kaffee kochte. Als ich zurückkam, konnte ich gleich zu ihm in die heiße, turmhoch mit Schaum bedeckte Wanne hüpfen. Ich hätte es beinahe mitsamt meinen Klamotten getan. Stunde um Stunde saßen wir in der Wanne und taten nichts weiter, außer ein wenig miteinander zu schlafen, uns zu streicheln, mit Kuchen zu füttern, uns weiter zu liebkosen und unserer Haut beim Schrumpeln zuzusehen. Wurde das Wasser zu kalt, ließen wir einen Teil davon ab und warmes nachfließen. Später holte Klaus uns sogar noch eine Flasche Rotwein, Käse und Brot – wir aßen Abendbrot in der Wanne – und gingen dann irgendwann herrlich angeschickert zu Bett. Dort ließen wir den Tag mit einem ganz entspannten Höhepunkt ausklingen und nahmen am anderen Morgen auch das Frühstück ein, das wir beide uns gegenseitig machten.
Die schönste Erinnerung, die ich sowohl an Föhr als auch an meine Beziehung mit Klaus habe. Nie wieder bin ich dem Verschmelzen mit einem anderen Mann so nahe gekommen wie damals, weder vorher noch hinterher habe ich mit jemandem eine auch nur annähernd so intime Zeit erlebt. Wir waren eins in dieser Wanne und hinterher im Bett. Nichts stand mehr zwischen uns, die Vergangenheit nicht mit ihren feigen Verführern und Herzensbrechern, ihren Betrügern und Toten, und erst recht nicht die Zukunft mit auch nur dem leisesten Gedanken an den folgenden Tag. Es gab nur uns, Klaus und mich, eng umschlungen und ineinander verliebt. Ich atmete, wenn er atmete, sein Herz schlug, wenn meins schlug. Alles, was ich immer wollte, wonach ich mich jemals gesehnt hatte, erfüllte sich in jenen verwunschenen Stunden, als wir schließlich nackt im Dunkeln unter der Decke lagen, Haut an Haut, Wärme an Wärme, zu einem einzigen Gefühl verschmolzen, das schließlich weder Worte noch absichtlicher Berührungen bedurfte, um sich bestätigt zu wissen.
Daran musste ich denken, als Klaus mir den Schlüssel für seine alte Kate anvertraute, deshalb glaubte ich zuerst nicht, jemals wieder hierhin zurückkehren zu können. Ich wollte ja so gerne, aber ich traute mich nicht. Also sperrte ich mich, den Schlüssel ständig in der Hand haltend, in eine Art Quarantäne, als wollte ich prüfen, ob allein schon von den Gedanken daran irgendeine verheerende Krankheit in mir ausbrechen würde, was nicht der Fall war. Je länger ich stattdessen in Berlin blieb, desto gleichmütiger wurde ich bei der Vorstellung einer Rückkehr hierher und wehmütiger. Dann muss
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