Die unsicherste aller Tageszeiten
wie möglich zurück.
»Zu wenig, zugegeben«, antwortete er. »Aber genug, um mir meinen Teil denken zu können.«
Ich konnte den Schmollenden geben, so viel ich wollte, am Ende platzte die Frage doch aus mir heraus: »Hast du Bacon gekannt, persönlich, meine ich?«
»Immerhin gut genug, um zu seiner Beerdigung zu fahren.«
Und da ließ ich das Thema lieber fallen.
Ich muss es einfach versuchen, denke ich mir jetzt, ich muss versuchen, das Wochenende durchzustehen, ohne rückfällig zu werden. Mögen meine Schutzwälle auch noch so bröckeln in den kommenden Stunden, ich muss ganz einfach standhalten. Sollte ich den Kampf doch verlieren, dann muss ich zumindest darauf achten, mich zu schützen. Eigene Kondome habe ich natürlich keine mitgenommen, das tue ich nie, dafür ist in meinen Augen immer der Aktive zuständig, der ist es schließlich, der mit seinem Handeln die Gefahr bereitet, der die Lustgewalt ausübt, während ich als Passiver lediglich der Empfangende bin, der dadurch seinen Teil des Pakts erfüllt. Ich habe nie eigene Kondome dabei, aber ich weiß, wo Klaus seine aufbewahrt. Wenn es also unbedingt sein muss, dann nur geschützt. Und wenn mir das gelingt, dann bin ich wirklich schon einen entscheidenden Schritt weiter, dann schaffe ich es am Montag ganz bestimmt auch zu meinem Arzt. Föhr wird mir dabei helfen, seine Abgeschiedenheit, seine quasi nicht vorhandene Infrastruktur ebenso wie die Erinnerung an die Zeit mit Klaus, die mich stärken und vor den gröbsten neuerlichen Fehltritten abhalten wird. Es ist doch richtig, hierhergekommen zu sein, diese Reise ist nicht umsonst. Mit ihrer Hilfe kann ich mir beweisen, dass mehr in mir steckt als ein zwar genialer Künstler, aber auch ein extrem mangelhafter Mensch. Ich werde es schaffen!
Den Rest des Weges lege ich beinahe im Laufschritt zurück, als würde mich diese Selbstermutigung besonders dazu antreiben. Meine prall gefüllte Sporttasche schwingt auf meinem Rücken von links nach rechts und wieder zurück, der Gurt ist mir zum Hals hochgerutscht, scheuert über die Haut und schnürt mir die Luft ab. Ich bin völlig aus der Puste, so als würde ich nicht mindestens zweimal pro Woche ins Fitnessstudio rennen und Konditionstraining machen, sondern immer nur zu Hause vor dem Fernseher auf der Couch sitzen, Bier saufen und Chips fressen. Mein Herz hämmert mit stumpfer Gewalt gegen die Rippen, eine einzige Beschwerde gegen die körperliche Belastung, der ich es hier gerade aussetze. Dann endlich sehe ich das antike Haus vor mir, das Häuschen, die traditionelle friesische Kate! Friedlich liegt es da unter dem düsteren nässenden Abendhimmel, beleuchtet einzig vom Schein einer Straßenlaterne. Als hätte es die ganze Zeit schon auf mich gewartet und nur auf mich. Denn seine Fenster sind dunkel, alle Jalousien heruntergelassen und kein Auto steht in der kurzen Einfahrt vor dem erst vor wenigen Jahren errichteten Carport. Mein Herz macht einen Freudensprung und entspannt sich dann, der schritt meiner Füße verlangsamt sich fast schon zu einem Schlendern, meine Atmung normalisiert sich: Es ist niemand zu Hause, ich kann sorglos einziehen.
Ich liebe dieses Haus, seine klassische friesische Schönheit. Nicht ein Fischer, sondern der Walfänger Knut Quedens hatte es um 1850 herum erbaut und bis zu seinem Tode darin gewohnt. Danach nutzten es seine Nachfahren, bis ungefähr 1970, dann hatten sie ihre Siebensachen gepackt und die Insel Richtung Festland und bessere Jobs verlassen. Mit der Seefahrt und allen voran mit dem Walfang war es so gut wie vorbei, und der Tourismus schaffte nicht so viele neue Arbeitsplätze wie nötig; es war und ist eine äußerst strukturschwache Region. Das Haus blieb leer und verwaist zurück wie so viele andere damals auch, dem langsamen Verfall anheimgegeben. Keiner wollte dieses architektonische Kleinod kaufen, nicht zuletzt deshalb, weil die Erben einen viel zu hohen Preis verlangten, der mit jedem Jahr, das die Elemente an seiner Substanz nagten, lächerlicher wurde. Schließlich dachten Knut Quedens Ur- und Ururenkel sogar daran, ihren alten Stammsitz abreißen zu lassen und das Grundstück als Bauland zu verkaufen, aber selbst dazu fehlte ihnen das nötige Geld.
In diesem Moment trat Klaus Brandstätter auf den Plan, mein Klaus, der mir auch die ganze Geschichte haarklein erzählte. Schon immer hatte seine Familie einen Teil der Sommerfrische auf Föhr verbracht, seine Mutter hatte es an der Lunge, die frische
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