Die unsicherste aller Tageszeiten
hingen, bat ich meinen Galeristen, sie mir zurückzugeben. Er händigte sie mir mit einem mürrischen »Wurde aber auch Zeit!« liebend gern wieder aus. Weil ich sie aber auch nicht in der Abstellkammer meines Ateliers vermodern lassen wollte und ich sie trotz allem mag, fragte ich schließlich Klaus, ob er auch die Geschwister des Geschenks, das ich ihm bereits gemacht hätte, haben wolle, umsonst natürlich, als zusätzliches Geschenk. »Bei dir weiß ich sie wenigstens in guten Händen.«
»Ja, natürlich nehme ich sie«, erklärte er sofort freudestrahlend. »Ich werde sie alle zusammen in meinem Arbeitszimmer zu Hause aufhängen, damit sie mich immer an Föhr erinnern und die Erholung, die ich dort finde.«
»Tu das«, sagte ich. »Und eins kannst du mir glauben: Eines Tages werden diese Bilder viel, viel Geld wert sein, und jeder, der sich heute darüber mokiert und sich über mich lustig gemacht hat, wird sich dafür noch in den Arsch beißen. Diese Bilder sind gut. Und wenn das noch nicht reichen sollte, dann wird helfen, dass sie von mir sind.«
»Das weiß ich doch, das eine wie das andere.«
Das tröstete mich.
Leider hängen diese vier Geschwisterbilder wirklich in Klaus’ privatem Arbeitszimmer in seiner Villa an der Elbchaussee, wo sie kaum jemals jemand zu Gesicht bekommt. Für die Öffentlichkeit ist dieser Raum, der mehr als jeder andere in seinem Haus mit persönlichen Gegenständen und Erinnerungsstücken aller Art vollgestopft ist, an mich, an Georg, an seine Eltern, sogar an den Betrüger Markus vom Haff/Lutz Meier, so gut wie gar nicht zugänglich. Selbst ich muss jedes Mal um Erlaubnis bitten, wenn ich ihn betreten möchte, um sie mir anzusehen. Ich sehe mir dann kaum etwas anderes an, nicht einmal die Fotos von uns beiden und von mir allein, die es dort ebenfalls gibt, aufgenommen von Freunden von ihm oder von ihm selbst. Nein, ich will nur hinein, um meine eigenen Werke zu betrachten, um selbst in den Erinnerungen zu schwelgen, die sie in mir auslösen. Klaus hat mir seine Erlaubnis auch noch nie verweigert, er gewährt mit sogar ohne Zögern den Wunsch, allein eintreten zu dürfen, aber fragen muss ich eben trotzdem. Auf meinen Vorschlag, vielleicht zwei der vier Gemälde in seiner Fischerkate hier auf Föhr aufzuhängen, ist er ebenfalls nicht eingegangen, dabei wäre das für mich das schönste überhaupt gewesen, denn von hier stammen diese Bilder, hier gehören sie hin. Das soll nicht heißen, dass Klaus’ Ferienhäuschen hässlich eingerichtet wäre, im Gegenteil, er hat bei dessen Ausstattung ebenso viel Geschmack bewiesen wie in allem anderen, was er tut, es wäre einfach nur eine nette Geste mir gegenüber gewesen.
Nur noch wenige Hundert Meter, dann bin ich fast so etwas wie zu Hause. Den Weg kenne ich inzwischen auswendig, sogar im Schlaf würde ich ihn finden und dabei sicher an jedem geparkten Auto, jedem Laternenpfahl vorbei und über jeden Bordstein kommen, ohne zu stolpern. Die Wärme des Pharisäers und der Bordheizung hat mir neue Kraft gegeben. Außerdem dauert der Marsch nicht lange, denn wie bereits gesagt, Wyk ist, Stadtrecht hin oder her, nichts weiter als ein kleiner besiedelter Fleck im Meer, ganz dem Tourismus geopfert. Meine einzige Sorge besteht jetzt nur noch darin, dass jemand das Haus an diesem Wochenende nutzen könnte, schließlich sind nicht nur in Berlin Ferien. Sollte das der Fall sein, bin ich ganz schön angeschmiert, dann wüsste ich nicht, wohin. Jetzt bin ich aber wirklich gehobener Stimmung, kein Vergleich mehr zu der Schwärze, in der ich am Morgen nach zu kurzer Nachtruhe aufgewacht bin, und das bestärkt mich einmal mehr in dem Glauben, unantastbar zu sein, dass es kein Hindernis auf meinem Weg geben wird, dass ich nicht mit Leichtigkeit beiseiteräumen kann. Meine alte Zwillingsschwester Hybris, die immer rechtzeitig zur Stelle ist, um mir gegen jegliche Form von Selbstzweifel, Existenzangst und sogar Viren und Bakterien zu helfen. Drum schreite ich vorwärts nun festen Schrittes.
Sobald ich den Hafenbereich verlasse, sehe ich kaum mehr einen Menschen. Die von der Fähre Kommenden haben sich so zügig in alle Himmelsrichtungen verlaufen, als seien sie gleich bei ihrer Ankunft im Inselboden versickert, wohingegen die, die abfahren wollen, ihre Aufmerksamkeit starr auf das Schiff gerichtet halten, das sie über die stärker werdende Dünung sicher nach Hause bringen soll. Zwischen seinen beleuchteten Häuserzeilen wirkt Wyk urplötzlich wie
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