Die unsicherste aller Tageszeiten
ich dieser Herausforderung doch wohl gewachsen sein, dachte ich, dann kann ich wirklich fahren, und fuhr los.
Da brach die Krankheit dann aus. Alle Quarantäne in Berlin erwies sich augenblicklich als hinfällig, obwohl es dieselbe Art von Fieber war. Ein Fieber, das sich durch schreckliche Ungeduld äußert, durch Furcht vor dem Alleinsein, in dem die Befürchtung des Ungeliebtseins vor sich hin brütet, dass ich niemals wieder jemanden finden würde wie Klaus – oder auch nur Karsten – oder den behütenden, liebenden Vater meiner frühen Jahre. Ein Fieber, das sich überall durch dieselben Symptome äußert, aber jederorts auf einen eigenen, genauestens auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmten Virenstamm stützt. Immer ist es die heillose Suche nach Erlösung im Fleisch, zu der es einen zwingt, aber das Herz bleibt dabei zu Hause und ausgeschaltet, denn man will ja auf keinen Fall, dass es wieder verletzt wird. In Berlin geschieht das für mich eben vorwiegend in »Männerwirtschaften mit beruhigtem Gastraum«, wie man Darkroomkneipen bisweilen so schön nennt, und auf Föhr beim Cruisen hinter Deichen und im Schwimmbad. Ich vögel mir die Angst aus dem Leib, lass mir die Leerstellen, die das reißt, gleich wieder mit Sperma aufspritzen, als wäre es Silikon oder das Nervengift Botox, und werde auch wirklich für den Moment ganz ruhig, zumindest bis ich wieder zu Hause bin und mein Herz anschalte und feststellen muss, dass es immer noch genauso lädiert und einsam ist wie zuvor.
Deshalb der Exzess bei meinem ersten Besuch allein hier auf der Insel, zuerst mit Jürgen und dann mit Tim, seinem Sohn. Deshalb immer wieder ein sexuelles Abenteuer nach dem nächsten, wenn ich hier bin, mal verzweifelter, mal entspannter, aber immer als Versuch, das zu ersetzen, was ich für immer verloren glaube. Ohne Klaus halte ich es hier einfach nicht aus – und zugleich fühle ich mich ihm nirgendwo näher als hier. Und ich kann es besudeln, so viel und womit und mit wem ich will, daran wird sich niemals etwas ändern, es sei denn, ich finde doch noch einmal einen neuen Klaus. Ein Klaus, zu dessen Georg ich dann vermutlich werden würde.
Was mache ich eigentlich hier? In Berlin hätte ich schon längst zigmal Sex haben können, ohne mir die Strapazen einer solchen Reise anzutun. Der Unersättliche hätte aus vollen Töpfen fressen und sich von unzähligen Mäulern auffressen lassen können. Scharfe Zähne, die sich einander ins weiche, heiße Fleisch schlagen und es in Stücke reißen. Warum diese Tortur auf eine kleine Insel vor der Küste Nordfrieslands, auf der der Erfolg einer sexuellen Eroberung, Hochsaison hin oder her, eher zweifelhaft ist? Eben darum, weil ich endlich einmal enthaltsam sein will, und wenn mich die äußeren Umstände dazu zwingen müssen. Ich will aus meinem üblichen Verhaltensmuster ausbrechen, selbst wenn ich dafür so tun muss, als würde ich ihm einmal mehr nachgeben. Föhr bietet dafür noch immer mit die besten Voraussetzungen, weil es eben über keine schwule Infrastruktur verfügt. Das ist und bleibt trotzdem ein Plan, der vor Willensschwäche nur so strotzt, aber zu mehr bin ich einfach nicht fähig. Vielleicht wird daran etwas ändern, wenn ich am Montag dann tatsächlich, mit der Kraft im Rücken, die daraus entspringt, keine neue Schuld auf mich geladen zu haben, zum Arzt gehe, mich testen lasse und das Ergebnis, das ja eigentlich nur wie erwartet ausfallen kann, in Händen halte. Manchmal ist es eben besser, den Geist aus der Flasche zu lassen, um ihm endlich auf Augenhöhe zu begegnen.
Nichtsdestotrotz ist es bis dahin noch ein langer, langer Weg, zu lang vielleicht, bedenkt man meinen sprunghaften, affektgeleiteten Charakter. Ein ums andere Mal sorgt er dafür, dass ich mich im Kreis drehe wie ein gottverdammter Brummkreisel, selbst jetzt, in diesem Moment. Und den konnte und kann keiner so gut einschätzen wie Klaus, und er war und ist der Einzige, der diese Tatsache jemals offen zur Sprache gebracht hat, auf die einzige Art und Weise freilich, auf die ich ihm Gehör schenkte.
»Manchmal erinnerst du mich an Francis Bacon«, erklärte er, nicht allzu lange nach unserer Wiederannäherung und nachdem ich ihm tränenreich von einer weiteren, durch mich gescheiterten Beziehung und dem damit verbundenen Fremdgehen und Kompensationsvögeln erzählt hatte. »Der kannte auch kein Maß, von seiner Arbeit vielleicht einmal abgesehen.«
»Ach! Was weißt du denn schon!«, bellte ich so laut
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