Die unsicherste aller Tageszeiten
Türblatt ziert ein Muster in friesischem Blau. Um das Haus herum, zur Straße sowie zum Carport und der klitzekleinen historischen Scheune auf dem hinteren Grundstücksteil, die erst als Kühlhaus gedient hat, dann als Hühnerstall und jetzt ein Geräteschuppen ist, führen Schotterwege, auf denen jeder Schritt heimelig knirscht. Hinten, zwischen Haus und Schuppen, befindet sich dann auch noch der zweite Garten, größer, an den Rändern dicht mit Bäumen und Buschwerk bewachsen und in der Mitte aufgeteilt in Rasenflächen und Blumenrabatten und einen Grillplatz. Er ist zu gepflegt, um für sich das Prädikat verwunschen in Anspruch nehmen zu können, aber weil er nahezu uneinsehbar ist, kann man sich trotzdem sehr gut in ihm erholen.
»Gefällt es dir?«, fragte er mich bei einem ersten Rundgang und später, als wir am Ende der Ferientage schon wieder im Auto Richtung Fähranleger saßen: »Hat es dir gefallen?«
Beide Male antwortete ich mit einem nachdrücklichen Ja.
»Das freut mich«, sagte er und lächelte selig.
Danke sagte ich ihm trotzdem niemals, aber als wir wieder zu Hause waren, noch in Jacke und Schuhen in seinem herrschaftlichen Hausflur standen, die Reisetaschen neben unseren Füßen, da musste ich ihn einfach umarmen, ihn küssen und ihm gestehen: »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, antwortete Klaus, und für einen Moment war Föhr überall.
Heute bin ich einfach nur erleichtert, mein Ziel erreicht zu haben, diesen sicheren Ankerplatz für die Nacht, die unsicherste aller Tageszeiten. Und dass sonst niemand hier vor Anker liegt, das Haus dunkel und still dasteht, empfinde ich dabei noch als das größte Glück. Wie schlimm würde es sein, jetzt im Heimathafen anzulegen und der eigenen Familie zu begegnen, die einen mit ihren nervigen Fragen bombardiert, wo man gewesen sei, was man mitgebracht habe, wie lange man bleibe. Nein, das hier ist nicht zu Hause und soll es auch gar nicht sein, das hier ist nur eine einsame Bucht in einer zugegeben etwas nasskalten Südsee, in der ein Seefahrer, der als verzweifelter Freibeuter unterwegs ist, für eine kleine Weile auf Reede liegen und seine Kräfte ebenso wie die Vorräte auffrischen kann, bevor er erneut in See sticht.
Ich trete durch den Torbogen mit den Fingerspitzen auf den alten Walknochen, ich gehe über den knirschenden Schotter und lächle bei jedem mahlenden Geräusch unter meinen Füßen. Ich ziehe das kirschrote Lederetui aus meiner Hosentasche und öffne es, ich fühle warme Erleichterung mein Rückgrat hochkriechen, als ich in dem funzeligen Licht der Straßenlaterne den Schlüssel in seinem Samtbett aufglänzen sehe. Er ist kühl, beinahe feucht, als ich ihn aus dem Futteral hole, kurz in der Hand wiege – er wiegt nach nichts, aber das heißt ja nichts – und dann, Bart voraus, mit den Fingern fasse. Die Blumen links und rechts des Weges nehme ich nur vage wahr, ich steuere jetzt zielstrebig auf die Tür zu. Mit der Linken fahre ich über ihr Holz, reibe über die Regennässe, die wie ein noch frischer Lack auf den Zierelementen liegt, mit der Rechten stecke ich den Schlüssel ins Schloss. Er gleitet widerstandslos hinein. Ich drehe ihn zweimal um seine Achse nach links, es knackt zweimal leise, und beim zweiten Knacken springt die Tür von allein einen Spaltbreit auf, auch ohne dass ich die Klinke herunterdrücken muss. Als könnte es die Kate selbst kaum mehr erwarten, mich in ihrem Innern zu begrüßen. Ich helfe ihr und stoße die Tür sperrangelweit auf und kann es nun wirklich kaum mehr erwarten, in diese schwarze Tiefe einzutreten, die sich gähnend vor mir öffnet.
Es riecht nach Lavendel und Staub, die Luft, die mir entgegenschlägt, ist trocken und kalt. Es ist vollkommen still dort drinnen. Keine Uhr tickt, kein Kühlschrank brummt – wenn ich mein Kommen vorher angekündigt hätte, hätte der Gärtner, der zugleich als Hausmeister fungiert, ihn für mich eingeschaltet, überhaupt alles für meine Ankunft vorbereitet; ich habe seine Nummer, ich hätte ihn anrufen und informieren können – der Strom ist abgestellt. Nichts bewegt sich. Aus dem Höhlendunkel schälen sich nach und nach weiße formlose Umrisse: die Möbel, unter ihren Schutzbezügen schlummernd. Ansonsten sehe ich nichts, den Rest kann ich nur erahnen, weil ich weiß, was alles da ist. Zum Beispiel die antiken Kachelöfen in jedem Zimmer mit Ausnahme des Bades, die bei Bedarf die Heizung ersetzen können, die alten Kommoden und das neue, jedoch
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