Die unsicherste aller Tageszeiten
hinausposaunen will. Da aber kommt sie mir noch rechtzeitig mit dem richtigen Riecher zuvor und fragt, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu geben, ihren Triumph zu verbergen:
»Und wie heißt er?»
»Wer?«
»Na, dein neuer Freund! Oder hab ich dich aus der Arbeit gerissen?«
Mir schlich sich sofort ein schiefes Grinsen ins Gesicht.
»Hannes. Er heißt Hannes.«
»Und wo hast du ihn kennengelernt?«
»In einem Club.«
Das entsprach zumindest halbwegs der Wahrheit. Nur war es eben recht dunkel gewesen in diesem Club und alle Besucher Männer, die bis auf ihr Schuhwerk nackt waren, und man versuchte gar nicht erst, sich in die Augen zu schauen, sondern hielt sich gleich an die nackten Tatsachen.
»Du lernst häufig Männer in Clubs kennen.«
»Wirklich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Diesen Mark damals doch auch. Und diesen … diesen Jens …»
Und Michael und Robert und Markus. Theo, Thomas und Ralf waren so etwas wie Groupies gewesen, der Rest Bekanntschaften aus Parks und Saunen, von gewöhnlichen Partys oder Gott weiß woher. Nur aus dem Internet war noch keiner dabei.
»Bin halt ein sehr kommunikativer Mensch.«
»Und du hast das gute Aussehen deines Vaters geerbt.«
»Danke.«
»Und wie alt ist dieser Hannes?«
»18.«
Sie stutzte einen Moment.
»Das ist aber jung für dich, oder?«
»Wieso?«
»Na ja, sonst sind deine Freunde bisher doch mindestens immer gleichaltrig gewesen oder sogar älter.«
»Theo war fünfundzwanzig, als wir uns kennenlernten.«
»Aber er war der Einzige, der wirklich jünger war als du. Also mehr als ein Jahr.«
Ich war ein wenig verstimmt.
»Was du dir alles merkst.«
»Ich führe Buch, um den Überblick über das Leben meiner Kinder nicht zu verlieren.«
»Du meinst, du legst Akten über uns an.«
»Nenn es, wie du willst. Deine ist auf jeden Fall die dickste von allen.«
Papas ist dicker, dachte ich sofort und kicherte los, als mir wieder seine Vorliebe für Wuchtbrummen in den Sinn kommt.
»Schön, dass du es lustig findest.«
»Ach, der Gedanke hat schon was«, versuchte ich meinen Kopf durch ein Lob aus der Schlinge zu ziehen und wieder zurück auf den rechten Weg zu kommen. »Meine Akte ist auch nur die dickste, weil dir meine lieben Geschwister bestimmt nicht alles erzählen. Die sind nicht so freimütig und ehrlich wie ich.«
»Du willst damit andeuten, ich habe bei eurer Erziehung versagt?« Sie nahm es mit sportlicher Ironie hin und nicht als Vorwurf, eine Fähigkeit, die ich erst vor Kurzem bei ihr entdeckt hatte.
»Nein«, antwortete ich. »Wir sind nur eben alle keine Kinder von Traurigkeit.«
»Das glaub ich langsam auch. Und wie sieht er aus, dein Hannes?«
Ich geriet sofort ins Schwärmen:
»Groß, schlank, blond. Sehr sportlich, gut gebaut, aber auch körperlich noch nicht voll ausgereift. Und auch noch so täppisch und unbeholfen wie ein Welpe. Als würde er alles, was er gerade mit mir zusammen erlebt, überhaupt zum ersten Mal erleben. Er hat so eine Art, mich aus seinen großen braunen Augen anzuschauen, so von unten herauf, obwohl er doch größer ist als ich, total treu, anhänglich und vertrauensvoll, das kannst du dir nicht vorstellen! Immer eine Spur ängstlich, scheint es mir, eben weil er noch so unerfahren in allem ist. So eine Beziehung hatte ich wirklich noch nie, wo mal jemand zu mir aufschaut, und zwar nicht, weil ich berühmt bin.«
»Dann hatte er also noch keine richtige Beziehung vor dir?«
»Nein, soweit ich weiß nicht. Es hat wohl ein oder zwei Versuche gegeben, so Teenagergeschichten, aber daraus ist nie was geworden.«
»Dann sei bloß vorsichtig mit ihm.«
Das kam unerwartet, wie ein Dolch in den Rücken. Ich ging sofort in Angriffsposition.
»Was soll denn das jetzt heißen?«
Aber meine Mutter ließ sich nicht einschüchtern.
»Nur so. Ich meine, diese Geschichten halten bei dir nie lange, von der mit diesem Klaus damals mal abgesehen, und selbst die war nach relativ kurzer Zeit wieder vorbei. Und wenn er nun noch kaum Erfahrung in Beziehungsdingen hat, fällt dir eine besondere Verantwortung im Umgang mit ihm zu. Sollte es schneller, als er es erwartet, in die Brüche gehen mit euch, dann wirst du große Rücksicht auf ihn, auf seine Befindlichkeit nehmen müssen, wenn du nicht willst, dass der Bruch ein endgültiger ist und ihr hinterher nie mehr ein Wort miteinander wechseln könnt. Er ist sehr verwundbar, und du könntest ihm Wunden beibringen, die nie mehr richtig verheilen
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