Die unsicherste aller Tageszeiten
will. Ich bin ihr keine Rechenschaft schuldig.«
»Die Einstellung gefällt mir.«
»Und ich will endlich wieder mit dir schlafen«, flüsterte er, und diesmal röteten sich seine Wangen nicht aus Scham, sondern vor Verlangen.
Wir flogen geradezu in meine Wohnung und schienen schon nach der halben Strecke keine Klamotten mehr anzuhaben. Wir brannten lichterloh, verzehrten uns gegenseitig. Seine unbeschwerte Hemmungslosigkeit machte, dass ich mich ihm vollkommen hingab. Wenn er gewollt hätte, hätte er mich mit wenigen Handbewegungen zum Kommen bringen können. Nur wollte er nicht, nicht so einfach jedenfalls. Plötzlich hielt er inne, sah mich an, zwinkerte mir etwas lächerlich, aber doch total sexy zu und sagte, ohne den Hauch eines Zweifels daran, es auch wirklich zu können:
»Ich will dich ficken.«
Das Schöne an letzter Nacht war es nicht zuletzt gewesen, einmal befriedigenden Sex ganz ohne Analverkehr zu haben. So wie mit Karsten in der Anfangsphase oder mit Klaus immer mal wieder. Denn so bestand jetzt die Möglichkeit einer Steigerung. Und trotzdem fühlte ich mich plötzlich verpflichtet, ihm zu sagen, als wollte ich ihn damit testen:
»Okay. Ich hab aber keine Kondome im Haus.«
Da strahlte er übers ganze Gesicht und erklärte triumphierend: »Ich war heute Nachmittag zum ersten Mal in meinem Leben in einem Sexshop. Das war toll, und ich hatte auch kaum Bammel davor. Jetzt hab ich Gummis und Gleitgel da.« Und schon hatte er beides aus seinem Rucksack gefischt und mir auf den nackten Bauch gelegt. Er sah mich herausfordernd an: »Also, darf ich?«
Wie konnte ich da Nein sagen? Und für einen Anfänger machte er seine Sache wirklich sehr gut.
Nachher schliefen wir, beide noch mit einem gehörigen Schlafdefizit von der Nacht zuvor im Gepäck, sehr schnell ein. Der nächste Tag war ein Sonntag, nichts trieb uns aus den Federn. Wir begannen den Tag des Herrn mit ein wenig Guten-Morgen-Sex, dann holte ich uns Brötchen, und wir frühstückten im Bett. Ich fütterte ihn, er fütterte mich, wir stellten ein paar Sachen mit Honig und Nutella an, die sie in der Werbung für solche Produkte niemals zeigen würden, und hatten unseren Spaß. Und noch immer war Hannes diese Mischung aus noch unerfahrenem Jungen und lernbegierigem Schüler, der vom Füllen seiner Wissenslücken einfach nicht genug bekommen konnte und mich, seinen Lehrer und Meister, mit der schönsten Naivität anhimmelte. Er forderte mich auf eine Art und Weise, wie ich es niemals zuvor erlebt hatte, stellte mit einer Selbstverständlichkeit Ansprüche, die ich jedem anderen sofort abgeschlagen hätte, ihm jedoch augenblicklich erfüllte, weil das auch mich erfüllte.
Zum ersten Mal seit Klaus verspürte ich wieder dieses Gefühl positiver Wehrlosigkeit in mir, den Wunsch, mich einem anderen völlig zu öffnen und hinzugeben – und, noch tiefer in mir drin, die Angst, er könnte das ausnutzen, um mich bald, sehr bald schon bösartig zu verletzen. Er könnte ja ein Schauspieler sein, wenn, dann allerdings ein sehr guter.
»Ich will dein Atelier sehen«, sagte er, als wir satt und zufrieden in den Kissen lagen. »Darf ich?«
»Ob du darfst? Natürlich! Das hatte ich dir doch gestern schon versprochen.«
Nackt gingen wir den kurzen Weg in meine Künstlerwerkstatt. Ich zog ihn fröhlich an der Hand hinter mir her, Hannes folgte begeistert, bis ich die schwere, nahezu schalldichte Tür zu meinem Atelier aufzog und uns gleißendes Sonnenlicht und ein vielfältiger, zu großen Teilen chemischer Farbenduft entgegenschlugen. Allein der Anblick machte ihn beklommen vor Ehrfurcht, sodass es ihm einen richtigen Kraftakt abverlangte, die Schwelle in mein ureigenes Reich zu passieren. Die Reaktion gefiel mir, zeugte sie doch von echter Bewunderung, ja Anbetung, und sowohl das eine als auch das andere erlebe ich nur höchst selten in meinen eigenen vier Wänden, zumindest was mein Werk angeht, denn dieses Sanktuarium dürfen nur die allerwenigsten betreten. Mit Sex jedenfalls, nicht einmal mit hervorragendem Sex, kann man dafür keine Eintrittskarte lösen. Mein Galerist kennt ihn, schließlich ist er mein Galerist, und Klaus natürlich, mein lieber Möchtegern-Mäzen. Ansonsten hat ihn von meinen Liebhabern nur Thomas gesehen – und der fand ihn sterbenslangweilig. Für ihn wurde er erst interessant, als er auf die Idee kam, zwischen den Staffeleien auf einem auf dem Boden ausgebreiteten Stück Leinwand eine Nummer zu schieben, bei der wir uns
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