Die unsicherste aller Tageszeiten
unsichtbar vor ihm hockte und seinen durch das Loch gesteckten Schwanz mit Händen und Mund bearbeitete.
Was sie machten, interessierte mich ebenso wenig wie das Wie oder ihr Aussehen oder die Größe ihrer Genitalien. Nicht der Bläser fesselte meine Aufmerksamkeit oder die Leidenschaft, mit der er zu Werke ging, und auch nicht der, der sich so sein Instrument bespielen ließ, mit seinem Genuss. Die Geräusche, die sie machten, das Saugen und Schmatzen und Stöhnen und Bejahen, was mich sonst bei Sex zwischen Fremden besonders anmacht, ließ mich diesmal vollkommen kalt. Ebenso die Tatsache, dass beide Typen mich längst entdeckt hatten und es mindestens geil fanden, beobachtet zu werden, wenn es nicht gar noch geiler gefunden hätten, ich hätte mich zu ihnen gesellt. Was ich sah, war kein sexueller Akt mehr, ich sah nackte Kunst, die neue Richtung meiner Malerei.
Ich ließ die beiden in dem Glauben, mich an ihrem Schauspiel aufgeilen zu wollen und eventuell bald schon mitzumachen, es schien sie ja nur umso mehr anzustacheln. Ich ließ sie glauben, dass ich bald auf die linke Seite der Trennwand trat, bald auf die rechte, hätte allein damit etwas zu tun, dass ich mich noch zu entscheiden versuchte, auf welcher ich denn mitmachen wollte. In Wirklichkeit spielte ich mit der Perspektive, mit dem Blickwinkel, und zwar beides im Sinne ihrer handwerklichen, maltechnischen Bedeutung. Den Hockenden sah ich schon gar nicht mehr und auch an dem Stehenden interessierte mich nur noch das, was ich jeweils nicht mehr sehen konnte, wenn ich mal auf seiner, mal auf der anderen Seite stand. Ich hatte nur noch Augen für die durch meinen Positionswechsel entstehenden Leerstellen. Denn stand ich links, sah ich zwar sein, als würde es Schmerz empfinden, lustverzerrtes Gesicht, aber nicht seinen Schwanz und seine Eier, stand ich rechts, sah ich sein Gemächt, dafür aber nicht den Ausdruck des Empfindens in seinen Zügen. Eins von beidem fehlte jeweils, es oblag plötzlich meiner Fantasie, meiner Vorstellung und meinem Willen, diese Lücke zu füllen. Und ich tat es in einem kreativen Feuersturm, mit tausend möglichen Bildern in meinem Kopf.
Als der Linke kam und dem Rechten ungesehenerweise seine Ladung über das ganze Gesicht und in den Mund spritzte, kam auch ich – ich hatte ganz automatisch nebenbei gewichst. Danach machte ich mich sofort auf den Heimweg und sperrte mich glücklich in meinem Atelier ein, um zu arbeiten, erst einmal Ordnung in das Schöpfungschaos meines endlich wieder zum Leben erwachten Schöpfergeistes zu bringen und die neue Linie festzulegen, der ich folgen wollen würde. Ich fertigte ein paar Skizzen an, mit Bleistift und mit Kohle, und zweieinhalb mit viel zu schneller Hand hingeworfene Probegemälde, die ich später entweder übermalen oder doch eher verbrennen würde, einfach um zu sehen, welcher der beiden Richtungen, die mir für die Umsetzung meines neuen Projektes vorschwebten, eher zusagte oder ob ich nicht sogar beide ausarbeiten sollte in zwei separaten und doch miteinander korrespondierenden Serien. Ein paar Tage lang dachte ich fieberhaft darüber nach, dann entschied ich mich für letztere Lösung: Ich würde gleich eine Doppelserie malen! Innerlich ließ mich das so jubeln, dass ich das auch draußen, außerhalb meines Ateliers feiern musste, um nicht vor lauter Glück zu platzen. Also ging ich aus, lernte Hannes kennen, und nun stand er hier und war der erste Mensch überhaupt, dem ich meinen neuen Arbeitsansatz vorführte. Und selbst das machte mich glücklich.
»Woran arbeitest du gerade?«, fragte er, nachdem er einen ersten Blick auf das wenige, was bisher da war, geworfen hatte.
»Was glaubst du denn?«, fragte ich und lächelte in fröhlichfreundlichem Sadismus. »Was siehst du denn auf diesen Skizzen und Bildern?«
»Es sieht aus wie diese ›torture porn‹-Sachen, nur fehlen mal entweder die Gesichter oder die Geschlechtsteile.«
»Und was fühlst du dabei?«
»Es ist verwirrend.«
»Warum?«
»Also ich … Beides scheint wichtig zu sein, jedes auf seine Art. Schau ich mir die Sachen an, auf denen die Gesichter fehlen, denke ich, das ist doch das wichtigste an dem ganzen Bild, daran kann ich doch nur sehen, was die dargestellte Person empfindet bei der Lust oder der Gewalt, die sie da gerade erfährt. Aber dann sehe ich die anderen Bilder, wo nicht das Gesicht, sondern die Genitalien fehlen – und ich denke etwas Ähnliches oder vielleicht auch genau dasselbe.«
Ich
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