Die unsicherste aller Tageszeiten
gegenseitig mit Farben beschmierten. Das wiederum lehnte ich ab, obwohl es als Pornofantasie eigentlich ganz hübsch ist, nur eben nicht in meinem Atelier.
Hannes dagegen fühlte sich geadelt und wohl auch etwas unwürdig, diesen heiligen Ort betreten zu dürfen. Ich musste ihn mit einem schnellen, festen Ruck über die Türschwelle ziehen, hinein in das strahlende Licht und die riechenden Farben, damit er mir weiter folgen konnte. Sobald diese Hürde aber einmal überwunden war, verlor er schnell auch den Rest seiner Befangenheit. An meiner Hand ließ er sich führen und sah sich an, was immer ich ihm zeigen wollte, den Ausblick zu drei Seiten über die Dächer der Stadt etwa oder auf den Himmel durch das beinahe deckengroße Oberlicht, meine ungeheure Sammlung von Farbtöpfen, -tuben und -paletten oder die unzähligen Pinsel, meine Staffeleien und die Leinwandvorräte und das, woran ich gegenwärtig arbeitete.
Dabei gab es von Letzterem gar nicht mal so viel zu sehen. Ich hatte ja erst vor ein paar Tagen mit diesem neuen Projekt angefangen, nachdem ich wochen- und monatelang kaum eine echte kreative Eingebung erlebt, nur halb gares Zeug produziert und gleich nach seiner Fertigstellung wieder vernichtet hatte, weil es inhaltlich belanglos und künstlerisch schlecht ausgeführt war. Ich hatte festgesteckt, hatte das Ende meines ›torture porn origins‹-Weges erreicht, und der war eine Sackgasse, ein Blinddarm, der sich, je länger ich in ihm verharrte und keinen Ausweg fand, langsam, aber sicher entzündete und zu platzen drohte. Kein besonders schönes Gefühl, mehr und mehr erfüllte es mich sogar mit Angst, mit einer Form von Künstlerparanoia, vielleicht ausgebrannt zu sein, mein Pulver verschossen zu haben, von jetzt an nur noch Belanglosigkeiten hervorbringen zu können. Ich fürchtete, mich bereits mit Anfang dreißig selbst überlebt zu haben und überflüssig geworden zu sein, künstlerisch wie menschlich.
Zur Kompensation ließ ich mein ohnehin schon übermäßiges Sexleben einmal mehr in den Exzess ausufern. Tag für Tag und Nacht für Nacht ging ich dahin, wo die nackten, schnell verfügbaren Körper sind, einerseits um mich von meinem kreativen Elend abzulenken, andererseits in der Hoffnung, vielleicht unter ihnen meine Inspiration zurückzugewinnen, wenn ich mir nebenbei anschaute, was sie einander in der Finsternis ihres Verlangens antun. Denn ich wollte den entblößten, gemarterten Körpern noch nicht abschwören, ich wusste, der Baum würde noch Früchte tragen – wenn es mir gelänge, in Erfahrung zu bringen, auf welche Art und Weise ich ihn erst einmal zurückschneiden und dann veredeln musste, damit er neue, fruchtbare Triebe austrieb. Der alte ›torture porn‹ war in der Tat tot, lang lebe der neue ›torture porn‹!
Und ich sollte recht behalten, die Inspiration fand sich tatsächlich in einem düsteren, stickig-heißen und mit stechenden, mich immer unangenehm an Desinfektionsmittel erinnernden Poppersdämpfen angereicherten Berliner Kneipenhinterzimmer nur für Männer. Es war nicht viel los gewesen, obwohl bereits reichlich spät, was schon mal nicht gut war, und dann hatte ich auch noch richtig schlechte Laune gehabt, was alles nur umso schlimmer aussehen ließ. Ich fühlte mich gefährlich wie ein durch Hunger und Entbehrung gereiztes Raubtier, bereit, jeden anzufallen und in großen rohen Stücken zu verschlingen, der mir nicht rechtzeitig auswich. So fühlte ich mich und bildete mir auch ein, dass die anderen wenigen Anwesenden es bemerkten und mir deshalb in möglichst großem Bogen aus dem Weg gingen. Das heizte meine Verärgerung natürlich nur noch stärker an. Ich lief Kilometer um Kilometer durch den nur wenige Quadratmeter großen Raum, folgte den verschlungenen dämmrigen Pfaden und gab mich meinem Selbstmitleid hin: Ach, wäre ich doch zu Hause geblieben; hätte ich doch wenigstens versucht zu malen; warum musste ich ausgerechnet heute hierherkommen, wo ich doch weiß, dass um diese Uhrzeit und hier sowieso nichts los ist?!
Ich war gerade soweit, umkehren und gehen zu wollen, wollte nur noch einen letzten Rundgang machen, einen allerletzten Blick in die Runde werfen – da sah ich sie plötzlich: zwei Kerle, die sich miteinander an einem Glory Hole verlustierten. Ich war genau auf sie zugelaufen, konnte beide links und rechts der Trennwand sehen, den Linken, der stand und sich an der schwarz getünchten Pressspanwand festklammerte, während der Rechte auf seiner Seite
Weitere Kostenlose Bücher