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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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machte ihn erst recht heiß, was wiederum mich heißmachte. Deshalb ließ ich ihn in dem Glauben und war bereit, die Geschichte fortzuführen, um eine möglichst große Ernte einzufahren. Er erzählte mir noch dort, Schüler auf dem Weg zum Abitur zu sein und nach dem Abschluss und Zivildienst Anglistik und Germanistik auf Lehramt studieren zu wollen. Ich beeindruckte ihn mit meinem echten Namen, dem er sofort und selbstständig die richtigen Bilder zuordnen konnte.
    »Ich hab deine Ausstellung in London gesehen«, bekannte er, und zur Belohnung stürzte ich mich gleich noch einmal auf ihn.
    »Arbeitest du gerade an was?«, fragte er hinterher, sein Glück, mit einem der berühmtesten, weil teuersten Maler der Gegenwart intim zu sein, kaum fassen könnend.
    »Ja«, antwortete ich und fragte in verwerflicher Generosität: »Möchtest du meine neuen Arbeiten mal sehen, bevor sie irgendein anderer zu sehen bekommt?« Ich spreizte mich wie ein Pfau, ich bezirzte das Jüngelchen in einem fort, obwohl ich es längst schon für mich gewonnen hatte.
    »Ja«, flüsterte er, scheinbar einer Ohnmacht nahe.
    So tauschten wir also unsere Nummern und versprachen uns, uns gleich am nächsten Tag wiederzusehen, als wäre das der nötige Preis dafür, den Rest der Nacht allein im jeweils eigenen Bett verbringen zu können. Und so war ich es, der nur Stunden später als Erster seine Nummer wählte und mit ihm für den kommenden Abend ein Date ausmachte. Ich.
    Ich.
    Ich hole mir noch einen heißen Tee mit Zitrone und lasse mir diesmal auch noch einen Schuss Rum in das Getränk geben, vielleicht vertreibt das endlich das Kratzen aus meinem Hals. Die Nase tropft auch schon wieder, in Ermangelung mitgebrachter Taschentücher schnäuze ich mich in eine der ausliegenden Papierservierten. Ich will mich nicht erkältet haben!
    Wir trafen uns in einer hauptsächlich von Heteros frequentierten Bar unweit meiner Atelierwohnung, beide etwas übernächtigt, aber voller Tatendrang. Hannes schaute etwas schüchtern drein und schien es im ersten Moment kaum fassen zu können, dass ich tatsächlich kam. Auf seinen Bäckchen glühten hektische rote Flecken, die mich besonders aufreizten und sofort wieder in mein Imponiergehabe von letzter Nacht zurückwarfen – ich nahm meinen Eroberungsfeldzug wieder auf, als hätte ich in der Zwischenzeit einen Rückschlag erlitten oder er sich mir nicht längst freiwillig unterworfen. Ich bezahlte die Drinks nicht nur, ich wählte sie auch aus. Ich berührte ihn immer wieder wie zufällig, oberhalb der Tischkante mit der Hand, unterhalb davon mit dem Knie oder den Füßen, ohne anfänglich eine dauerhafte Berührung zuzulassen, wodurch er umso stärker und dankbarer auf diese flüchtigen Momente reagierte, auf diese angedeuteten Versprechen dessen, was da alles noch kommen könnte. Ich brachte ihn zum Reden und erfuhr, dass er gebürtiger Berliner war, seine Eltern geschieden waren seit seinem neunten Lebensjahr und dass insbesondere sein Vater große Probleme mit dem Schwulsein seines einzigen Kindes – Sohnes – hatte, während sich die Mutter alles in allem recht tapfer hielt.
    »Kommt mir irgendwie bekannt vor«, murmelte ich mir in den Bart hinein.
    Etwas lang und breit erzählte Hannes mir seine Coming-out-Story, die so typisch und untypisch zugleich ist wie alle anderen auch: Eines Tages, als er längst regelmäßig die Coming-out-Gruppe der AHA, der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft, eine örtliche Schwulen-Organisation, besuchte und sich von dort immer die
Siegessäule
mitnahm, Berlins schwul-lesbisches Stadtmagazin, über dessen Anzeigenseiten ich auch schon Sexkontakte gesucht hatte, fand sein Vater in seiner Schultasche die neueste Ausgabe, brauchte nicht lange, um eins und eins zusammenzuzählen und seinem Sohn eine Szene zu machen, die sich gewaschen hatte und den Jungen in die Flucht trieb, direkt in die Arme seiner noch ahnungslosen Mutter. Die aber überwand sich schnell und schaffte es, ihrem verletzten und verunsicherten Kind die notwendige Stütze zu sein, was das Band zwischen Mutter und Sohn nur umso fester zog.
    »Mit meiner Mutter kann ich einfach über alles reden«, erklärte Hannes stolz.
    Ich nickte anerkennend und ein wenig ungläubig. »Dann weiß deine Mutter, wo du gerade bist? Und mit wem?«
    »Nö.«
    »Nicht?«
    »Sie weiß, dass ich aus bin und vermutlich erst spät zurückkommen werde. Mehr muss sie nicht wissen. Ich bin achtzehn, ich kann tun und lassen, was ich

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