Die unsicherste aller Tageszeiten
fühlte mich ihrer nicht würdig, gerade weil ich nicht damit zurechtkam, dass Klaus von mir dafür keine Gegenleistung erwartete, dass ich mich gar nicht erkenntlich zeigen musste. Ich sollte mich einfach nur freuen, das war ihm Dank genug.
Mir war es zu wenig. Zu Hause hatte ich gelernt, dass keine gute Tat umsonst ist, dass dahinter immer irgendeine Absicht steht, die auf lange Sicht befriedigt werden will. Meine Brüder waren nett zu mir, wenn sie etwas von mir wollten; meine Schwester war nett zu mir, wenn sie wollte, dass ich nett zu ihr war; selbst meine Eltern baten mich manchmal ganz nett um Dinge, die ich für sie tun sollte, anstatt es mir einfach zu befehlen. Unser Leben verlief in ruhigeren und angenehmeren Bahnen, wenn wir es auf guten Taten basieren ließen, aber das funktionierte eben nur, solange sich Geben und Nehmen die Waage hielten und alles seinen vernünftigen Preis hatte. Nur Klaus verlangte keinen Preis, keinen Gegenwert, ihm reichte es zu geben.
Was sollte ich also tun, wenn ich mit jedem Tag stärker das Gefühl hatte, dass mein Geben-und-Nehmen-Konto mehr und mehr ins Minus rutschte? Mir fiel nur eine Sache ein, gegen die auch er nichts haben konnte: ihn lieben und mit ihm schlafen. Sex mit Klaus war ohnehin eine Offenbarung gewesen, obwohl ich mich, als wir uns trafen, schon als ein ziemlich erfahrenes Flittchen sah. Zum einen kannte, konnte und zeigte er mir Sachen, von denen ich noch nie etwas gehört, bestenfalls in Pornos oder auf Sexpartys gesehen hatte. Zum anderen war die Grundlage für den Geschlechtsverkehr mit Klaus von Anfang an nicht ein rein körperliches, sexuelles Verlangen gewesen, sondern ein Begehren des Herzens, Liebe eben. Das hatte ich seit Karsten nicht mehr erlebt, und damals war mir nicht bewusst gewesen, dass es einen Unterschied zwischen beiden geben könnte. Klaus liebte mich, ich liebte Klaus, und so entstand eine tiefe Intimität zwischen uns, die alles, was wir im Bett miteinander anstellten, sich unglaublich intensiv anfühlen ließ. Deshalb schien es mir auch keine schlechte Idee zu sein, meine Schulden bei Klaus durch am Ende eben doch nicht ganz so profanes Liebemachen abzuarbeiten, wovon wir sogar beide etwas hatten, beide unseren Spaß und unsere Erfüllung – und mich machte die Vorstellung, so etwas wie eine Kurtisane zu sein (obwohl mein Galerist, mit dem ich leider einmal darüber sprach, mir entgegnete, ich verhielte mich eher wie eine Hausfrau), noch einmal extra rattig.
Es reichte trotzdem nicht, mit jedem Tag stand ich mehr in der Kreide, ein Schuldner, dessen einziger Gläubiger keinerlei Anstalten unternahm, ihn für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen, weshalb er weiter und immer weiter verantwortungslos handelte, bis er sich endgültig des Verbrechens der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hatte. Doch ich ging natürlich nicht und zeigte mich selbst an, ich stahl mich einfach davon wie ein Dieb in der Nacht, ein mieser kleiner Betrüger.
Wieder ließ ich etwas mitgehen, auch wenn ich das erst später bemerkte, als ich längst in meiner neuen Bleibe in Berlin war: Klaus’ Herz. Es lag zuunterst in meinem Fluchtgepäck, begraben unter den Trümmern meines Hamburger Zwischenspiels. Wie war es dort hingekommen? Zuerst wusste ich es nicht, ich konnte es doch unmöglich wirklich geklaut haben, schließlich hatte ich gerade das bei meinem Abgang zurücklassen wollen. Wie war es überhaupt in meinen Besitz gelangt? Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und das Licht der Erkenntnis blendete mich noch einmal ganz besonders schmerzhaft: Ich hatte es nicht gestohlen, ich hatte es geschenkt bekommen. Klaus hatte mir sein Herz geschenkt. Das größtmögliche Geschenk überhaupt, zur sorgfältigen Verwahrung anvertraut. Weil er mich liebte. Das Problem war nun nicht, dass ich es ihm nicht zurückgegeben hatte, nein, die von mir begangene Gemeinheit und Grausamkeit bestand darin, dass ich, als ich ging, ihm das meine, das ich ihm im Tausch für seins automatisch gegeben hatte, zurückgeholt hatte. Nun besaß ich also zwei Herzen, während in Klaus Brust ein riesiges Loch klaffte. Das muss die größte Qual sein, die es überhaupt nur geben kann. Wie er so überhaupt leben konnte, ist mir bis heute schleierhaft.
Voller Reue und Schuldgefühl versuchte ich in der Folge, ihm wenigstens sein Herz zurückzugeben. Ich schrieb ihm Briefe und Karten und rief ihn schließlich an, um ihm den Anrufbeantworter vollzuquatschen mit
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