Die unsicherste aller Tageszeiten
weißen Wal aus genietetem Stahl langsam und gleichmäßig auf den Anleger zusteuern. Kopfschüttelnd greife ich nach meiner Reisetasche, die ich im ersten panischen Moment beinahe noch vergessen hätte, streife mir ihren Riemen über, registriere die ekligen Flecken Feuchtigkeit an Armen und Beinen und mache mich auf den Weg. Schon von Weitem höre ich, wie in den Warteschlangen auf dem Verladeplatz die Autos angelassen werden, bis ihr Motorengeräusch von dem wesentlich mächtigeren der Fähre aus dem Bestand der Wyker Dampfschiffs-Reederei, kurz W.D.R., überlagert wird. Ich geselle mich zu dem überschaubaren Grüppchen Fußvolk an der Schranke, halte mich aber, weil ich mich so derangiert fühle, wie ich bestimmt gerade aussehe, im Hintergrund. Sollen sie doch als Erste das Schiff stürmen, wenn ihnen danach ist, ich werde warten, bis ich an der Reihe bin. Nach Föhr fahren werde ich aber auf jeden Fall.
Die Fähre legt an, klappt ihren Bug auf und entlässt die wenigen Autos und Fußgänger, die ihren Urlaub auf der Insel bereits in der Zwischensaison, wenn sie nicht ganz so überlaufen ist, verbracht haben. Gleich dagegen wird sich das ändern, dann wird der Ferienpöbel sie entern wie eine Horde wilder Piraten eine spanische Galeone voller vermuteter Goldmünzen aus der Neuen Welt. Hätten jetzt nicht beinahe bundesweit Herbstferien begonnen, dann wäre der Andrang auch lange nicht so stark, dann wäre diese Reise wesentlich erholsamer. Ich mag Föhr einfach am liebsten in der Nebensaison im Herbst, im Winter oder im frühen Frühjahr, wenn das Wetter rau ist und diese Insel, eben ganz die nordisch-herbe Schönheit, in ihrem eigentlichen Wesen erstrahlen lässt.
Mit Klaus kam ich das erste Mal an einem Februaranfang her, der dann auch prompt durch klaren Frost bestach, der Gischt zu kristallharten Schaumkronen gefrieren ließ und Eisschollen an den Strand schwemmte. Wir unternahmen lange, nahezu einsame Spaziergänge, dick eingemummelt in unsere Wintersachen, und bewegten uns ansonsten nur vom Bett zur Badewanne und wieder zurück und abends in ein Restaurant. Das zweite Mal kamen wir knapp drei Wochen später wieder her, nämlich Ende Februar/Anfang März, diesmal für gleich sieben Tage, um Klaus’ Geburtstag lang und ausgiebig und nur zu zweit zu feiern. Das letzte Mal kamen wir an Ostern jenes Jahres, die Insel war überlaufen von Menschen, das Wetter echtes Aprilwetter, eine unvorhersehbare Mischung aus Regen, Hagel, Graupel, Schnee und Sonnenschein. Dazu pfiff ein Wind über die Deiche, gespickt mit Meersalzpartikeln, die einem bald schon in Augen und Lungen brannten. Trotzdem waren wir ständig draußen und genossen es, Hand in Hand den Elementen standzuhalten, und danach ging es zurück in seine alte, liebevoll restaurierte Walfängerkate, wo wir uns in der Wanne, im Bett, vor dem antiken weißblauen Kachelofen aufwärmten. Ich rieb ihm den Rücken, das hatte er gern und das war auch das Mindeste, was ich ihm an Gutem tun konnte, wo er mir doch so unzählig viele schöne Dinge zuteilwerden ließ. Bei Klaus fühlte ich mich wieder wie der kleine Prinz von einst: beschenkt, umgarnt, geliebt.
Klaus war jedoch nicht mein Sugar Daddy. Er erkaufte sich meine Liebe und Zuneigung nicht mit Geld, er spielte nicht den Gönner, Geber und Wohltäter, um dafür im Gegenzug irgendwelche Dienste von mir einzukassieren. Er zeigte sich mir gegenüber so großzügig, weil er das von Natur aus ist, und zwar mit einer selbstverständlichen Gelassenheit, die mir damals immer wieder und immer öfter den Atem raubte. Denn was ich auch tat, um mich für seine Großzügigkeit erkenntlich zu zeigen, es schien niemals genug zu sein, niemals auch nur erwünscht. Ich machte ihm ein paar teure Geschenke, die ersten, die ich mir überhaupt ob meines gerade beginnenden eigenen Reichtums leisten konnte, eine Uhr, eine kleine Reise nach London, ein Foto von uns beiden in einem goldenen und mit Edelsteinen besetzten Rahmen – ein wirklich hässliches, protziges Teil. Klaus stellte es trotzdem auf, wie er jedes dieser Geschenke annahm und wie etwas ganz Besonderes behandelte. Nur ich hatte mehr und mehr das Gefühl, meine Geschenke seien nichts weiter als eine billige Kopie seiner wundervollen Gaben an mich, weil sie nicht von Herzen kamen, sondern Ergebnis einer Berechnung waren, mit der ich versuchte, Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten. Manchmal fühlte ich mich von seiner Großzügigkeit geradezu erschlagen,
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