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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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pathetischem Entschuldigungsgeschwafel. Ich glaube, ich sagte wirklich so etwas wie: Ich will dir doch nur dein Herz zurückgeben. Als wäre ich es, der deshalb litt, der unter seiner Last gleich zusammenbrechen würde. Es dauerte wiederum lange, bis ich ihn einfach nur um Verzeihung bitten konnte. Erst da kam zögerlich von ihm eine Antwort. Er rief mich an, er sprach mit mir, er nahm sein Herz Stück für Stück, tranchiert in dünne Scheibchen, zurück. Aber dieses Mal verlangte er wirklich einen Preis dafür, dieses eine Mal verknüpfte er sein Handeln nicht mit Großzügigkeit, sondern mit einem Geschäft.
    »Wenn wir Freunde werden sollen«, sagte er, »dann musst du mir in Zukunft aber auch wirklich vertrauen. Dann will ich, dass du mir gegenüber immer offen bist. Keine Heimlichtuerei, kein Spiel mit versteckten Karten. Wenn dir etwas unangenehm ist oder zu viel, dann sag es gleich. Und ich will auch, dass du mir sagst, warum dir dieses oder jenes unangenehm ist. Schämen kannst du dich in Zukunft woanders, bei mir verhältst du dich ab jetzt erwachsen.«
    Ich versprach es ihm und heulte danach lange allein in meiner neuen Bude. Denn ich wusste gleich, dass ich soeben einen nachgerade höllischen Vertrag unterzeichnet hatte. Allein das mit der Ehrlichkeit würde schon schwierig werden, aber einem anderen Menschen gegenüber frei von Scham zu agieren, das schien mir regelrecht unmöglich. Und diesen Teil unserer Abmachung halte ich auch nicht immer ein, und deshalb bin ich auch Klaus, meinem einzigen echten Vertrauten in der Welt, nicht immer ehrlich gegenüber. Warum sonst wohl sollte ich gerade auf dem Weg in Klaus’ Ferienhaus sein anstatt zu Klaus selbst? Warum sonst suche ich das Schlupfloch auf, das er mir zur Verfügung gestellt hat, um gelegentlich auszuspannen, anstatt mich mit seiner Hilfe den Dingen zu stellen, unter seiner erfahrenen Leitung durch den Sturm zu kommen. Ich weiß, ich kann nicht ewig in dessen Auge bleiben, auf die Dauer kostet das viel mehr Kraft, als ihn wirklich abzuwettern. Aber ich bin nun einmal ein Lügner und ein Feigling, und ich werde mich niemals einem anderen Menschen wirklich öffnen und anvertrauen können. Was schützt mich dann noch vor ihnen und ihrer Welt?
    »Hier, nehmen Sie.«
    Ein weißes Taschentuch ragt plötzlich in mein Sichtfeld.
    Ich fahre erschrocken zurück. Ich sehe einen alten Mann mit ausgestrecktem Arm, an dessen Ende das Taschentuch wartet. Seine Gestalt ist ganz verschmiert – und erst jetzt bemerke ich, dass das nicht am trüben Wetter liegt, sondern daran, dass ich weine.
    »Bitte«, sagt der alte Mann. »Nehmen Sie es.«
    Er klingt eher höflich als herzlich, das macht mir die Sache leichter. Ich nehme das Taschentuch und tupfe mir über Augen und Wangen.
    »Danke«, antworte ich.
    »Wischen Sie sich lieber auch den Mund und das Kinn ab, die sind auch etwas schmutzig.« Er nickt mir aufmunternd zu.
    »Wirklich?«
    Ich bin ganz überrascht, mein Blick fällt auf die Unterärmel meiner Jacke und ein wenig auf meinen bunten voluminösen Schal: Beide sind mit Kotze bespritzt.
    »Oh, Scheiße!«
    »Was haben Sie denn nur gemacht?«, fragt er und klingt interessiert, nicht tadelnd.
    »Ich habe auf den Deich gekotzt«, sage ich.
    Er sieht mich an und nickt dann bedächtig. »Na ja, die Schafe kriegen hier ja sonst auch nicht genug zu fressen.«
    Einen Moment sehen wir uns an, dann kichern wir beide los.
    »Entschuldigung.«
    »Kein Problem«, meint er. »Aber wir sollten jetzt auf die Fähre gehen, sonst fährt sie noch ohne uns ab. Da können Sie sich auch richtig sauber machen.«
    Ich nicke, und wir gehen schweigend auf die Fähre.
    Er führt mich zur nächsten Herrentoilette und hält mir sogar die Tür auf. »Hier, bitte.«
    »Danke.« Ich gebe ihm kurz die Hand. »Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    »Keine Ursache«, antwortet er, drückt meine Hand einmal kräftig und geht weg.
    Ich schaue ihm ein wenig nach, denke wieder an Klaus und betrete den Toilettenraum.
    In einer der Kabinen furzt jemand ohrenbetäubend zu meiner Begrüßung. Allein von dem Geräusch wird mir gleich wieder ganz anders, es ist ekelerregend. Und ekelerregend ist auch mein eigener Anblick im Spiegel: das unrasierte Gesicht eines frisch Dahingeschiedenen, der einen dicken bunten Schal um den Hals trägt, der vorn mit einer noch immer feuchten Schicht bräunlicher Schmiere verdreckt ist. Die verströmt zu allem Übel jetzt auch noch einen bitter-beißenden Geruch nach

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