Die unsichtbare Pyramide
einen Sarkophag gekettet war? Natürlich konnte er es sehen, aber scheinbar beherrschte er auf Trimundus irgendwelche Entfesselungskünste, die Francisco unbekannt waren. Wie um Himmels willen sollte er seine Handschellen versetzen? So ein Unsinn! Francisco gab sich zwar alle Mühe, aber es funktionierte nicht. »Ich kann das nicht!«, klagte er.
»Warte!«, sagte Trevir und nachdem er – ohne die Beine zu bewegen – vom Wasserbassin zum Fußende des Sarkophags geschwebt war, tat er etwas Unglaubliches. In der Weise, wie er sich an der Nahtstelle der beiden »Kinoleinwände« schon mit Topra berührte, suchte er nun Kontakt zu Francisco. Der hatte das Kinn auf die Brust gepresst, um Trevirs Hand nicht aus den Augen zu verlieren. Sie näherte sich den Füßen des Gefesselten und ihr Blau verwandelte sich unvermittelt in natürliche Farben. In dem Moment, als Trevirs Finger die zur Fußkette umfunktionierte Handschelle berührten, löste sie sich auf. Danach schwebte die lichte Wolke mit den beiden Brüdern schnell um den Sarg herum und der trimundische Drilling entfernte auch die restlichen Handschellen. Ächzend setzte sich Francisco auf und spähte ungläubig über den Rand des Sargdeckels, wo seine Fessel an der Metallklammer baumelte – ungeöffnet.
»Wie hast du das gemacht?«
Trevirs Antwort klang ungeduldig. »Mit der Gabe, die wir alle empfangen haben, obwohl wir sie offenbar unterschiedlich nutzen. Doch nun steig schnell von dem Altar, Francisco, und geh zur Inschrift. Lies sie uns vor!«
Die Nachwirkungen der Betäubung steckten Francisco noch immer in den Gliedern, aber er biss die Zähne zusammen und kämpfte sich durch das Becken in die von Topra gezeigte Richtung. Das Wasser reichte ihm bis über die viel zu weichen Knie. Immer wieder entstanden neue Risse in den Wand- und Deckenverkleidungen. Zeitweilig rieselten die Granitsplitter wie Hagelkörner herab. Als eine heftige Erschütterung die Kammer durchrüttelte, verlor Francisco das Gleichgewicht und fiel platschend der Länge nach hin. Hektisch und nun pitschnass kämpfte er sich wieder auf die Beine, taumelte weiter voran, rollte sich über die Kante hinweg aus dem Becken, kroch bis zur Kammerwand und zog sich daran hoch. Der fragliche Abschnitt der Hieroglypheninschrift müsste schnell zu finden sein. Die Namenskartusche des Imhotep und ein Fragment des Emblems der Unsichtbaren Pyramide wiesen ihm den Weg.
»Hier!«, sagte Francisco und deutete auf die Erkennungsmerkmale. Trevir wirkte einen Moment irritiert, musste sogar einem herabstürzenden Deckenteil ausweichen. Was tat er da?
Redete er mit einer… Fledermaus? Endlich war der trimundische Drilling wieder bei der Sache.
»Was besagt die Inschrift, die das Symbol umgibt?«
»Warte!« Francisco ließ seine Augen über die Hieroglyphen wandern.
Trevir drängelte: »Wir haben keine Zeit mehr, Bruder! Hier…«
Francisco gebot ihm zu schweigen, er brauche mehr Zeit. Mit den Fingerspitzen folgte er den Spalten, die sich ihm Zeichen für Zeichen erschlossen. Mit jeder Hieroglyphe, die er entzifferte, wurde er aufgeregter. Ohne es zu merken, nickte er immer stärker. Unglaublich! Jetzt ist mir klar, was Vicente im Schilde führt. Und wie wir die Katastrophe abwenden können … Franciscos Gedanken verklumpten zu leisem Gemurmel. »Ja, ich glaube, jetzt hab ich’s.«
»Und? Was steht da?«, meldete sich sofort wieder Trevir zu Wort.
Zuversichtlicher als noch vor ein paar Minuten wandte sich der Gefragte zu seinen blauen Brüdern um. Plötzlich tauchte am Rande seines Gesichtskreises ein Schemen auf. Francisco spürte einen harten Schlag am Hinterkopf, er glaubte, sein Schädel würde vor Schmerz explodieren. Eine dunkle Woge der Übelkeit rollte aus den Tiefen seines Körpers herauf, schien brennend heiß aus seinen Ohren zu quellen und überschwemmte gleich danach sein Bewusstsein.
Erneut umfing Finsternis Franciscos Geist.
Der stechende Gestank von Ammoniak zerrte Francisco aus der Ohnmacht. Angewidert drehte er den Kopf zur Seite, um dem Riechsalz zu entkommen. Sofort war wieder alles da: das Zittern der Kammer, die niederprasselnden Deckenteile, der Widerschein seines eigenen Glanzes, die Handschellen, das vom Wahnsinn verzerrte Gesicht Vicentes – jetzt trug er eine dunkle Sonnenbrille – und die Erinnerung.
»Wird auch Zeit«, krächzte der Archäologe. An seiner Stirn hatte er eine blutige Schramme. Die Suche nach dem Dolch im bebenden Labyrinth war nicht spurlos an
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