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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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mir erleben. Aber morgen wird es zu spät dafür sein…
    Der Sarkophag zitterte. Weitere Trümmerteile fielen ins Wasser. Insgeheim hoffte Francisco, eher von der Decke erschlagen, als von Vicente mit dem Kristalldolch erstochen zu werden. Der Tod war wohl ohnehin unabwendbar, aber was würde geschehen, wenn es dem wahnsinnigen Sprössling des Pedro Alvarez am Ende doch gelang, den archaischen Ritus zu vollziehen?
    Wieder hallten die Worte des Gesichts aus der Blutquelle durch Franciscos Geist: Nimm dich vor den Feinden in Acht, die das Gleichgewicht stören wollen!
    Hatte die Erscheinung, die sich Trevir nannte, nicht noch etwas anderes gesagt? Halte dich bereit bis zur nächsten Welle! Während Welle Nummer fünf war Francisco in China gewesen und hatte unter Vicentes Augen nach verborgenen Schrifttafeln gesucht, aber jetzt…
    »Francisco!«
    Zuerst ertönten die Stimmen wie aus großer Ferne. Im tiefen Dröhnen des Bebens und im Prasseln herniederfallender Trümmer gingen sie fast unter. Aber dann hörte er sie ganz laut.
    »Francisco!«
    Er öffnete die Augen. »Wer ist da?«
    »Ich bin’s. Trevir. Dein Bruder aus Trimundus«, antwortete jemand in einem sonderbaren, aber Francisco nicht ganz fremden englischen Dialekt und fügte rasch hinzu: »Außerdem ist da noch Topra von… Ich weiß nicht, wie seine Welt heißt. Ich dachte, du wärst tot.«
    Die Stimme kam von links und als Francisco den Kopf dorthin drehte, bemerkte er ein Strahlen, das seinem eigenen Glanz ebenbürtig war, eine lichte Wolke, die sich über dem Wasser des Bassins auftürmte, fast so, als rollte sich eine Kinoleinwand aus, nein, es waren zwei, deren Kanten ineinander verschwammen. Der scheinbare Film wirkte unglaublich plastisch, seine Farben waren allerdings von miserabler Qualität, ganz blaustichig. Auf der einen Seite wurde ein Kriegsepos gezeigt, zumindest sah es so aus: Unscharf erkannte Francisco hinter der Person Trevirs einen großen Saal, der ihn an die Kuppelhalle von Saint Paul’s Cathedral erinnerte und bebte. Trümmer stürzten herab, als stehe die Kirche unter heftigstem Artilleriebeschuss. In der Nähe war der Schemen einer Frau zu sehen, die dem Anschein nach neben einem aufgebarten Leichnam trauerte. Die zweite Leinwand glich eher einem Spiegel: Sie zeigte die Kammer des Wissens! Da, wo die Projektionsflächen aneinander stießen, hielten sich Franciscos Doppelgänger an den Händen. Sie trugen absurde Kostüme, Trevir einen mittelblauen Strampelanzug und Topra einen strahlend hellen Faltenrock.
    Als Francisco endlich begriffen hatte, dass es kein bizarrer Traum war, der sich da vor seinen Augen abspielte, erklärte er: »Ich dachte erst, meine Sinne spielen wieder verrückt. Vicente will mir sein Stilett ins Herz stoßen. Vielleicht erschlägt mich vorher auch die Decke. Hier bebt alles.«
    Trevir war von den beiden Erscheinungen wieder einmal die gesprächigere. Er führte das Wort und schien über Franciscos Lage ziemlich genau im Bilde zu sein. Weil er sich mit Topra, der ja Altägyptisch sprach, nicht verständigen konnte, bat er Francisco darum, zu dolmetschen. Für diesen wurde die Situation immer grotesker. Da lag er nun also auf einem schwärzen Sargdeckel, harrte der Rückkehr seines Mörders und sollte die Wartezeit mit Übersetzungsarbeiten überbrücken. Seine Vorbehalte wurden von Trevir indessen beängstigend schnell ausgeräumt. In dessen Welt – Trimundus – war bereits geschehen, was auf der Erde noch drohte. Daher also das Beben! Auf Anx – der dritten Welt im Bunde – hatte Topra mit Mühe einem Anschlag entgehen können. Es blieben nur noch wenige Minuten, um eine Katastrophe von multiverseller Dimension zu verhindern. Wie konnte man das bereits wankende Gleichgewicht der drei Welten wiederherstellen? Wer wusste eine Lösung? So lauteten Trevirs drängende Fragen an seine Brüder.
    Topra behauptete, die Antwort stehe an einer Wand in der Kammer des Wissens. Er habe allerdings ein Problem, sie zu lesen. Francisco ging es ähnlich, gleichwohl aus anderen Gründen. Aus den zahlreichen Rissen, die sich in der Decke gebildet hatten, rieselte feiner Staub, und der machte es ihm unmöglich, die Inschrift an der von Topra bezeichneten Stelle zu erkennen. In Franciscos Kopf drehte sich alles. Ihm wurde schlecht.
    »Dann steh auf und geh näher ran!«, forderte Trevir erbarmungslos.
    Francisco hätte am liebsten laut gelacht. Der Junge hatte wirklich Humor! Sah er nicht, dass sein irdischer Bruder an

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