Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
was euer Deaktivierungsalter ist, alle, die an diesen Treffen teilnehmen, sind so verdammt ALT und langweilig. Das erste Mal, als ich zu einem der Treffen ging, war ich irgendwie aufgeregt. Es war eine neue Erfahrung, und ich wollte eine gute Einstellung an den Tag legen. Dann ging ich hin. In dem Raum gab es keine Klimaanlage, und mindestens vier der Typen sahen so aus, als wären sie obdachlos oder noch schlimmer. Sie stanken. Und ich kannte die Rituale nicht. Ich hatte gedacht, man müsste aufstehen und etwas sagen, und dann helfen dir die anderen, deine Probleme zu lösen. Doch so war es nicht. Die Leute schwafelten einfach vor sich hin. Ohne Pause. Einer dieser alten Kerle hebt während des Treffens seine Hand und sagt: »Hi, ich bin Jim, und ich bin Alkoholiker.« Und nachdem er diesen Satz gesagt hat, darf er einfach endlos immer weiter reden! Es spielt keine Rolle, worüber er redet. Dieser Typ beschwerte sich etwa über die Reha, die seine Frau nach ihrer Hüftoperation durchziehen musste, und er wollte wissen, warum Leute, die sich deaktivieren ließen, keine Krankenversicherung mehr haben und so. Diese ganze langweilige Scheiße, DIE NICHTS MIT DEM EIGENTLICHEN THEMA ZU TUN HATTE! Es war wie in einem Altenheim. Das ist es, was die Anonymen Alkoholiker sind. Ein verdammtes Altenheim. Die Treffen sind etwas für einsame Typen, die niemanden zum Reden haben. Du beendest ein Treffen, und alle scharen sich um dich und fragen dich, ob sie dich unterstützen sollen. Sie geben dir ihre Telefonnummern. So soll es sein, denn sie machen sich ja Sorgen um dich. Aber das tun sie nicht wirklich. Sie wollen nur jemanden, den sie anjammern können.
Ich: Warum sind Sie dann noch hingegangen? Warum haben Sie nicht damit aufgehört?
Marta: Weil ich sterben werde, wenn ich wieder zu trinken beginne. Na ja, ich trinke wieder, und ich werde heute tatsächlich sterben. Aber das meine ich nicht. Ich weiß, was passiert, wenn ich trinke. Ich bin eine Alkoholikerin, wie sie in den Lehrfilmen immer gezeigt werden. Ich bin diejenige, die sich noch vor dem Aufstehen Wodka in den Kaffee schüttet. Das bin ich. Ich bin diejenige, nach deren Geschichte sich alle in der Gruppe besser fühlen, weil ich noch viiiiel schlimmer bin als sie. Man sieht, wie sie zusammenzucken, wenn ich erzähle, wo ich bereits überall aufgewacht bin. Ich weiß, dass ich nicht trinken darf, aber das bedeutet nicht, dass es nicht verdammt NERVT. Ich möchte, dass es wieder so wird wie früher. Ich möchte, dass das Trinken wieder eine reine, glückliche Erfahrung für mich sein kann. Doch das ist unmöglich. Denn jedes Mal, wenn ich ein Glas an meine Lippen setze, weiß ich tief in meinem Inneren, dass ich wieder an diese heißen, stickigen Orte zurückkehren werde. Ich kann nicht einmal an einem Bier nippen, ohne daran zu denken, wie ich in dem Auto gesessen habe und verhaftet wurde und wie mein Kind einen Gipsarm bekam, weil ich das Auto um einen Hydranten gewickelt hatte. Diese Gedanken kommen mit jedem Drink wieder, und das ist beschissen.
Ich: Sie sind also nicht glücklich, wenn Sie nüchtern sind?
Marta: Verdammt, nein. Wer ist das schon? Sie sollten die Leute sehen, die zu den Anonymen Alkoholikern gehen. Sie sagen alle, dass sie gern nüchtern sind, und sie freuen sich und umarmen sich dabei. Das ist alles Scheiße. Denn sobald einer von ihnen von den Tagen erzählt, an denen er noch getrunken hat, und erklärt, dass er am liebsten Wodka getrunken hat, dann sieht man, wie ihre Augen zu LEUCHTEN beginnen. Und alle im Raum lachen, weil sie an die guten alten Zeiten denken, als sie noch tranken und verdammt viel Spaß hatten. Sie wollen alle wieder trinken, und sie hassen sich alle selbst, weil sie zu weit gegangen sind und sich selbst den Spaß verdorben haben. Darum geht es bei den Anonymen Alkoholikern. Man lernt Leute kennen, die man bedauern kann, weil sie sich das Trinken selbst für immer vermiest haben. Dann verlässt man das Treffen und sieht die Leute in den Restaurants und Bars, die alle Spaß haben. Sie sind alle aus dem Schneider. Dann wird man wütend auf sie, weil sie glücklich sein können, und dann geht man wieder zu einem Treffen, damit man sich erneut im Schmerz suhlen kann. Man seift sich ein, man wäscht es ab, man beginnt wieder von vorn. (Sie nimmt einen weiteren großen Schluck.) Das ist das Beschissene daran. Mit der Zeit nimmt einem das Leben sämtliche Freude. Mein Herz ist kaputt. Der Arzt meint, ich darf keine Eiscreme
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