Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
mehr essen. Und keinen Speck. Und jetzt mal ehrlich: Welchen Sinn hat ein Leben ohne Eiscreme und Speck? Vor allem, wenn man auch nichts trinken darf? Kommt schon, der Mensch braucht ein Laster. Es macht doch nur Sinn, gut zu sein, wenn man es ab und zu genießen kann, auch einmal böse zu sein. Aber es gibt keine Ausflüchte mehr für mich. Ich muss für alle Ewigkeit wie eine Nonne leben. Und es soll mich zu einem reicheren, glücklicheren Menschen machen. Wie auch immer. Da fliege ich lieber nach Rio, trinke Caipirinhas und zeige Wildfremden meine Titten. Ihr könnt mir nicht weismachen, dass das nicht Spaß machen würde. Jeder, der meint, das sei sinnlos und bedauernswert, und es wäre besser, stattdessen einen langen Spaziergang zu machen, ist einfach verblendet. (Und wieder ein Schluck.) Der Tod ist das LETZTE, was sie hätten abschaffen sollen. Sie hätten zuerst ein Heilmittel gegen alles andere finden sollen. Gegen Herzkrankheiten und Alkoholismus und gegen diese anderen furchtbaren Dinge, die es immer noch gibt. Erst DANN hätten sie den Tod abschaffen sollen. Sehr ihr denn nicht, wie viel schlauer das gewesen wäre? Dann müsste ich mich nicht mit diesem Problem hier herumschlagen. Aber so ist das nun einmal. Ich werde sterben, wenn ich weitertrinke. Und wenn ich weiter zu den Treffen gehe, dann möchte ich sterben.
Ich: Sie könnten Hydro rauchen.
Marta: Das gibt mir nichts. Nein, das hier ist das Richtige für mich. Ein letzter Drink – und zwar ohne schlechtes Gewissen.
Ich: Was ist mit Ihrer Tochter?
Marta (lacht): Sie ist in Brasilien. Sie lebt ein behütetes Leben. Sie ist jetzt ein großes Mädchen, sie braucht mich nicht mehr. Das war’s dann also für mich. Keine Treffen mehr. Keine Tränen mehr. Keine verdammte Ernsthaftigkeit mehr. Bloß noch ein bisschen Spaß. Das habe ich mir immer gewünscht. Stört es euch Jungs, wenn ihr noch ein bisschen warten müsst? (Sie holt ihren WEPS hervor.) Macht es euch etwas aus, wenn ihr vielleicht noch dreißig Minuten wartet, während ich es mir noch einmal besorgen lasse? Tommy wohnt gleich um die Ecke. Er ist schnell. Und wir wären sogar noch schneller, wenn einer von euch den Job übernehmen würde.
Ernie: Nein, danke. Wir verzichten.
Ich: Wir werden warten.
Marta: Wunderbar. Noch einmal Sex. Noch einen Drink. Und kein Kater. TOMMY! Tommy, ich möchte, dass du schnell eine Sekunde zu mir kommst. (Sie legt auf.) Wisst ihr was? Vergesst das Ganze. Ich werde euch dafür bezahlen, dass ihr hier wart. Aber ich fühle mich zu gut, um die Sache jetzt durchzuziehen. Vielleicht fliege ich nach Brasilien. Verdammt, genau das werde ich machen. Danke für eure Hilfe, Jungs, aber ich glaube nicht, dass ich euch noch brauchen werde. Ein wenig mehr Zeit mit Mr. Daniel hier wäre sehr nett.
Zwei Tage später rief sie uns erneut an. Dieses Mal änderte sie ihre Meinung nicht.
GEÄNDERT AM:
09.04.2059, 21:45 Uhr
»Du siehst aus wie ich«
Ich habe David nicht mehr persönlich gesehen, seit er ein Jahr alt geworden war. Ich habe ihn jedoch auf meinem WEPS gesehen. Und ich habe mit ihm gesprochen. Ich kann mich erinnern, sein Gesicht auf meinem Bildschirm gesehen zu haben, als er etwa drei oder vier Jahre alt war. Kinder in diesem Alter haben die Fähigkeit, mit dem ganzen Gesicht zu lächeln und zu strahlen, wenn ihnen etwas wirklich gefällt. Man hat den Eindruck, dass sich ihr Lächeln von der Ost- bis zur Westküste erstrecken würde, wenn es denn möglich wäre. Sie sind einfach so wahnsinnig glücklich, dass kein Gesichtsausdruck der Welt dieses Gefühl tatsächlich wiedergeben könnte. Meistens geschieht es, wenn Eiscreme in der Nähe ist. Ich kenne keinen erwachsenen Menschen, der ein solches Lächeln zustande bringt. Ich kann mich erinnern, wie aufgeregt David war, wenn er mein Gesicht sah, egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit. Doch mit der Zeit wurde er immer größer, und seine Welt vergrößerte sich ebenfalls, und der Anblick meines Gesichts, das ihm aus Ecuador oder wo immer ich auch war zulächelte, war kein besonderes Ereignis mehr für ihn, sondern wurde immer mehr zur Zeitverschwendung.
Ich verfolgte ehrfürchtig seine Basketballkarriere an der Highschool. (Er war ein doppelt so guter Spieler, wie ich es gewesen war.) Indem ich die Spielstände und Zusammenfassungen verfolgte, konnte ich ihm nahe sein. Ich sah ihn nicht sehr oft, doch ich war besessen davon, sein Leben zu verfolgen. Es gefiel mir, ab und zu in seinem Feed vorbeizuschauen
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