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Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Die Unsterblichen: Roman (German Edition)

Titel: Die Unsterblichen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Drew Magary
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und ihm unaufgefordert Tipps zum Umgang mit Frauen oder der richtigen Höhe des Trinkgeldes für Barkeeper zu erteilen. Manchmal antwortete er, und die Tatsache, dass er es tat, ließ meine Haare zu Berge stehen. Dann ignorierte er mich wieder und machte einfach weiter. So war er eben. Ich konnte ihm deshalb nicht böse sein.
    Dann fragte mich Sonia, ob ich an seinem Geburtstag vorbeikommen wollte. Ich hatte seit mehr als sieben Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen – während dieser Zeit war er seiner Mutter zufolge zu einem extrem gläubigen Kollektivisten und Abgesandten der Kirche der Menschheit geworden.
    Es war die erste Einladung dieser Art, seit ich in die Staaten zurückgekehrt war. (Ich wollte nicht zurückkommen und gleich uneingeladen bei David hereinplatzen. Ich wollte es langsam angehen.) Ich nahm das Angebot erfreut an.
    Ich kann mich erinnern, dass David als Baby in meiner alten Wohnung in dem Zimmer neben meinem Schlafzimmer schlief. An der Tür hing ein ausgeschnittener Bär aus laminiertem Bastelpapier, auf dem sein Name stand. Immer wenn ich an der Tür vorbeiging und er in diesem Zimmer schlief, blieb ich einen Moment stehen und sah den Bären an. Ich hatte das Gefühl, als würde ich vor der Garderobe eines Rockstars stehen. Ich war sein größter Fan. Vor seiner Tür zu stehen war, als würde ich vor der Tür einer Person stehen, die ich unbedingt kennenlernen wollte. Das Kind auf all diesen Bildern schläft hinter dieser Tür! Dieses Gefühl ließ mich nie mehr los, vor allem nicht, als er größer wurde und unser Kontakt abbrach.
    Der Gedanke daran, David nach so langer Zeit wiederzusehen, fühlte sich an, als hätte ich Backstage-Karten zu einem Konzert von Elvis Presley bekommen. Ich verfiel in die gleiche Art von schwindelerregender Panik. Ich studierte die Dinge ein, die ich zu ihm sagen wollte. Ich stellte mir jede mögliche Antwort vor, die er mir geben würde, egal ob sie nett oder grausam war. Ich legte die Kleidungsstücke zurecht, die ich an diesem Tag tragen wollte, und machte mir Gedanken darüber, was ich anziehen sollte. Das mache ich sonst nie. Ich war nicht ich selbst.
    Nate und Sonia waren in eine Gegend namens Morningside Heights gezogen, nachdem der Hurrikan Jasmina die Innenstadt verwüstet hatte. Die Fahrt mit dem Bus dauerte zwölf Stunden, doch dank meines WEPS war ich die ganze Zeit über beschäftigt. Ich informierte David über meine bevorstehende Ankunft, doch ich erhielt keine Antwort. Ich genehmigte mir eine kleine Flasche Scotch, damit die Zeit schneller verging. Als der Bus endlich ankam, trat ich hinaus in die Menschenmenge, in der man ständig Gefahr lief, niedergerissen zu werden. Ich war noch nicht in Manhattan gewesen, seit es in eine Fußgängerzone umgewandelt worden war, und der Unterschied war entsetzlich. Alles kam mir fremd vor, als ich aus dem Bahnhof trat. Es war, als befände ich mich in einer Stadt, die direkt aus China eingeflogen worden war. Alle um mich herum bewegten sich so schnell und unnachgiebig wie Pistolenkugeln. Natürlich brachten sie sich nicht gegenseitig um, aber ich stand ständig jemandem im Weg. Die Fahrradfahrer rasten wie auf Schienen die Straßen auf und ab. Ich sah den Eingang einer U-Bahn-Station und bahnte mir meinen Weg durch die Menschenmassen. Die Jahre, die ich mit Keith unterwegs gewesen war, hatten mich abgehärtet. Die Menschen konnten mich anrempeln, so viel sie wollten, solange sie nicht über mich herfielen, war es mir egal und ich fühlte mich wohl. Ich hatte die Dinge im Griff.
    Ich quetschte mich in den dritten Zug, der ankam, und stieg in Morningside Heights aus. Hier war es um einiges ruhiger, und ich machte mich auf den Weg zu der angegebenen Adresse. Sonia öffnete die Tür. Sie war schwanger.
    »Verdammte Scheiße!«, sagte ich.
    »Komm schnell rein.« Sie war allein. David war mit seiner Halbschwester und Nate unterwegs, um eine Pizza zu essen.
    »In welchem Monat bist du?«
    »Im fünften.«
    »Du beginnst also noch mal von vorn. Das ist wunderbar. Ich freue mich für dich.«
    Sie ließ sich auf das Sofa fallen und presste die Hände gegen die Stirn.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich sie. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
    »Es wird von Tag zu Tag schwieriger, es geheimzuhalten, John. Ich habe schon keine Kleider mit hoher Taille mehr. Neulich habe ich versucht, einen Sari zu tragen, aber ich sah aus, als wäre ich auf dem Weg zu einer Toga-Party. Als Nate und ich uns dazu entschlossen haben,

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