Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
solchen Führern raten, dass sich so etwas theoretisch zwar sehr nett anhört, praktisch aber nicht umsetzbar ist. Man kann nicht für immer an der Macht bleiben. Es ist zu schwierig. Zu viele Menschen wollen an die Macht. Und letzten Endes werden sie einem die Macht aus der Hand reißen. Männer wie Ndaiye glauben vielleicht, dass sie für immer an der Spitze bleiben können, aber ich verspreche Ihnen, dass jemand kommen wird, um sie herunterzustoßen. Irgendjemand kommt immer.
GEÄNDERT AM:
05.09.2030, 16:28 Uhr
Der Mann, der auf der ganzen Welt zu Hause war
Gestern Abend saß ich in einem Restaurant an der Bar und wartete auf meine Verabredung. Wir hatten für acht Uhr reserviert, doch ich war gern immer ein wenig früher da, um etwas zu trinken und mir mit Gratis-Nüssen den Bauch vollzuschlagen. Ein Typ setzte sich auf den Hocker neben mir. Er war groß, so wie ich. Er hatte sehr blonde Haare, die beinahe weiß wirkten, und war sonnengebräunt. Sein Aussehen und sein Gehabe waren aufsehenerregend. Er hatte eine warme, gesellige Ausstrahlung, ohne dass er auch nur ein Wort sagen musste. Ich riskierte es, ihn anzusprechen. Es stellte sich heraus, dass er Australier war. Natürlich war er das. Alle Australier, die ich jemals kennengelernt habe, hatten dieselbe überschwängliche Art. Sein Name war Keith.
»Was machen Sie hier in der Stadt?«, fragte ich ihn.
»Ach, das hier ist mein erster Stopp in meinem Amerikajahr.«
»In Ihrem Amerikajahr? Arbeiten Sie hier?«
»Arbeiten? Nein, ich arbeite nicht. Ich verbringe einfach dieses Jahr in Amerika. Ich möchte ein Jahr in jedem Land dieser Erde leben. Vom ersten Januar bis zum ersten Januar, und wenn das Jahr vorbei ist, dann packe ich meine Sachen und ziehe weiter. Ich habe letztes Jahr in Kanada begonnen. Ich dachte mir, ich erledige die einfachen Länder zuerst.«
»Und warum bleiben Sie in jedem Land ein Jahr?«
»Warum nicht? Ich habe mich deaktivieren lassen. Ich werde noch eine ganze Zeitlang leben. Warum sollte ich die Zeit also nicht nutzen?«
»Aber vermissen Sie Ihr Zuhause denn nicht?«
»Mein Zuhause? Nein, Kumpel. Warum sollte ich mein Zuhause vermissen? Es ist doch immer noch da. Offen gestanden ist das Wort ‚Zuhause‘ doch nur eine Ausrede. Es ist doch so einfach, zu Hause zu bleiben und immer nur dasselbe zu tun, nicht wahr? Welchen Sinn hat das denn – vor allem jetzt? Ich kann in hundert Jahren nach Hause zurückkehren, und es wird immer noch dasselbe sein. Meine Freunde werden noch dieselben sein, meine Frau wird noch dieselbe sein.«
»Ihre Frau? Sie machen diese Reise ohne Ihre Frau?«
»Klar, warum nicht? Sie lebt doch auch weiter. Wenn ich schon tausend Jahre lang lebe, dann möchte ich nicht neunhundertneunundneunzig davon in Wahroonga verbringen. Lege dich auf einen Ort fest, mein Freund, und er wird dir eines Tages zum Hals heraushängen. Ich möchte zuerst in Nord- und Mittelamerika leben. Dann in Südamerika, Afrika und Europa. Danach in Asien und Ozeanien. Das ist mein grober Plan. Es wird mich etwa zweihundert Jahre kosten. Wenn ich Glück habe, marschiert Russland in die Ukraine ein, und ich kann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vielleicht nehme ich eine Russin mit, um sie meiner Frau vorzustellen.« Er lachte bei dem Gedanken daran.
»Und sie ist damit einverstanden?«
»Warum denn nicht? Ich werde doch nicht ein Jahr in einem Land verbringen, ohne die ‚Kultur‘ näher kennengelernt zu haben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und was ist mit ihr?«
»Oh, sie kann schlafen, mit wem sie verdammt noch mal will«, sagte er. »Mir soll es Recht sein. Sie ist eine attraktive Frau. Es hat keinen Sinn, wenn sie sich die ganze Zeit für mich aufhebt. Sie macht ab und zu mit meinem Freund Kevin herum. Ich glaube, sie haben Spaß miteinander. Es ist toll. Ich will nicht, dass sie einrostet – im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Verdammte Scheiße.«
»Wissen Sie, es ist unglaublich, wie verklemmt ihr Amerikaner immer noch seid, sogar jetzt noch. Mir ist egal, was die Leute von mir oder meinen Beziehungen halten. Über die Moral soll sich ein anderer Idiot Gedanken machen. Wissen Sie, was mir wichtig ist? Unvergänglichkeit. Das ist, was ich will. Dieses Heilmittel hat mir die Chance gegeben, alles auf dieser Welt einmal auszuprobieren, und Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, dass ich es auch tun werde. Warum sollte ich stattdessen etwas anderes tun? Du bleibst an einem Ort, und du wirst vergessen, wie
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