Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
dein Tag war, sobald er vorbei ist. Jeder Mensch und jeder Ort und jede Sache wird langweilig, wenn man sie jeden Tag sieht oder macht. Sogar Dinge, die echt klasse sind. Ich werde jedoch keinen einzigen Tag der nächsten zweihundert Jahre vergessen. Ich werde mit den Buschmännern in Zelten schlafen. Ich werde im Amazonas schwimmen. Ich werde eine Kuh in Kambodscha erschießen. Das werde ich alles tun. Und wenn es vorbei ist, dann kann ich jede Geschichte erzählen, die ich schon immer einmal erzählen wollte. Ich werde der reichste Mann der Welt sein. Und ich verspreche Ihnen, dass ich niemals wieder jemanden langweilen werde, der sich entschließt, mich in einer Bar anzusprechen.«
»Ich denke, das ist auch jetzt nicht der Fall.«
»Warten Sie nur ab. Warten Sie nur ab, bis wir uns im Jahr zweitausendzweihundertdreißig noch einmal unterhalten.«
Meine Verabredung traf ein. Ich fragte Keith, ob er sich zu uns setzen wollte. Sie stand noch während des Essens auf und ging. Ich bemerkte es kaum. Ich verbrachte die angenehmsten drei Stunden, die ich jemals erlebt hatte, während er immer weitererzählte und ein Glas Wein nach dem anderen trank. Ich stellte mir vor, wie Keith die ganze Erde bereiste. Ich sah ihn als Teil einer riesigen Menschenmenge in China. Ich sah, wie er in Neuseeland einen Berg bestieg. Er war von seinen Plänen so begeistert, dass ich mich fühlte, als würde ich ihn bereits auf seiner Reise begleiten. Ich erlebte seine Abenteuer durch ihn, obwohl ich ebenfalls die Freiheit hatte, es ihm nachzutun. Ich hatte bloß nicht den Mut, es zu tun. Nachdem wir gegessen hatten, verließen wir das Lokal. Er nahm eines dieser altmodischen Zigarettenetuis heraus. Er klopfte eine Zigarette dagegen, zündete sie an und genoss den Gedanken an das Leben, das er gerade führte und noch führen würde.
»Ich sag’ Ihnen nur noch eines. Ich kann es gar nicht erwarten, dass mein Jahr hier endlich vorbei ist. Als Nächstes fahre ich in ein Land, in dem ich meine Kippen wieder überall rauchen darf.«
GEÄNDERT AM:
13.09.2030, 07:15 Uhr
»Die Kirche der Menschheit heißt euch willkommen!«
Nachdem ich einen Termin beim Zahnarzt gehabt hatte, ging ich gestern auf der Upper West Side spazieren und kam dabei an einem riesigen Gebäude vorbei, das gerade neu gebaut wurde. Da die gesamte Fassade von einem Baugerüst umgeben war, war ich gezwungen, durch einen dieser behelfsmäßigen Tunnel zu gehen, die sie überall dort errichten, wo etwas gebaut wird. Ich hasse diese Dinger. Sie sind immer nur etwa halb so breit wie ein gewöhnlicher Gehsteig, und ich muss mich für gewöhnlich alle sechs Meter gegen die Wand drücken, um einem dieser riesigen selbstfahrenden Kinderwagen auszuweichen. Während ich durch den Tunnel ging, sah ich in der Mitte des Fußwegs eine Gruppe Menschen, die Flyer unter den Passanten verteilten. Ich hielt den Kopf gesenkt und versuchte, mich an ihnen vorbeizudrängen. Einer von ihnen hielt einen Flyer vor mein Gesicht. Ich nahm ihn, bloß um den Typen loszuwerden, und ging weiter. Er lief jedoch neben mir her und stellte eines dieser unheimlichen, eingefrorenen Lächeln zur Schau, die diese Verrückten kennzeichnen.
»Die Kirche der Menschheit heißt euch willkommen!«, sagte er.
»Ja, ja, ist mir doch egal.«
»Wussten Sie schon, dass dieses Gebäude einmal die größte Kirche der Menschheit der Welt werden wird?«
»Das ist mir egal, aber danke.«
Ich ging einfach weiter, und schließlich gab der Typ von der Kirche der Menschheit auf und kehrte zu seiner kleinen Versammlung zurück. Ich war ehrlich schockiert, dass hier bald ein zwanzigstöckiges Gebäude entstehen würde, das vollkommen der Kirche der Menschheit gewidmet war. Ich meine, ich weiß schon, dass ein paar Prominente diese Kirche unterstützen, aber ich hatte keine Ahnung, dass sich normale Menschen ebenfalls dafür interessierten. Ich behielt den Flyer und las ihn. Hier ist er:
DER BEGINN EINER NEUEN ÄRA: DIE KIRCHE DER MENSCHHEIT IN NEW YORK
Am 1. Januar 2031 wird das neue Hauptquartier der Kirche der Menschheit in Manhattan feierlich eröffnet. Wir wollen nun Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, exklusiv zu unserem Eröffnungsgottesdienst um 10:00 Uhr einladen. Wir werden gemeinsam singen und tanzen, und es gibt Gratis-Häppchen für alle Anwesenden.
Wenn Sie noch nie von unserer Glaubensgemeinschaft gehört haben, dann helfen Ihnen vielleicht die folgenden FAQ, um eventuelle Missverständnisse betreffend
Weitere Kostenlose Bücher