Die Unsterblichen: Roman (German Edition)
wurden. Ich habe eine Kopie davon abgespeichert:
Manning: Wir haben zahlreiche – und wenn ich »zahlreiche« sage, dann meine ich in Wahrheit Tausende – Berichte gelesen, die russische Bürgerinnen und Bürger auf ihren Feeds veröffentlicht haben und in denen detailgetreu beschrieben wird, wie die Polizei alle Menschen mit einem Deaktivierungsalter von über fünfzig Jahren exekutiert.
Solowjew: Sie holen sich Ihre Informationen aus den Feeds? Ist das alles, was Sie haben? Welche Legitimierung haben diese Feeds? Sie wissen nicht einmal, ob diese Feeds tatsächlich von russischen Bürgerinnen und Bürgern betrieben werden.
Manning: Wir konnten viele dieser Geschichten verifizieren.
Solowjew: Und wie sind Sie dabei vorgegangen? Haben Sie andere Feeds zur Hilfe genommen? Diese Situation hier ist bedauerlich, Mr. Manning. Ich befürchte, dass Sie und Ihr Arbeitgeber auf einen Online-Scherz hereingefallen sind. Wir kennen die Geschichten. Wir wissen, dass es bestimmte russische Bürger und Bürgerinnen gibt, die mit dem Ausgang der letzten Wahl unzufrieden sind. Und daher haben sie beschlossen, dass der beste Weg, unsere Demokratie zu untergraben, ist, solche furchtbaren Lügen über das Internet zu verbreiten. Wir wissen darüber Bescheid, weil wir auf diversen Message-Boards und Social-Media-Plattformen Beweise gefunden haben, dass hier diverse Pläne ausgeheckt wurden. Ich befürchte, dass diese Menschen nicht gerade diskret vorgehen.
Manning: Können Sie mir Beweise vorlegen, dass diese Pläne existieren?
Solowjew: Möchten Sie, dass ich mein Telefon hervorhole und es Ihnen zeige? Es tut mir leid, aber ich habe es gerade nicht bei mir. Ich wollte nicht unhöflich sein und hatte Angst, dass unser Gespräch gestört werden würde.
Manning: Was ist mit dem Video aus Dimitrowgrad? Das Video, auf dem zu sehen ist, wie die 69-jährige Sascha Virsk aus ihrem Haus gezerrt und auf der Straße von drei bewaffneten Polizisten erschossen wird?
Solowjew: Auch dieses Video ist eine Produktion dieser anonymen Amateure. Es gibt keinen Beweis dafür, dass es echt ist. Die einzigen Menschen, die glauben, dass es echt ist, sind diejenigen, die sich wünschen, es wäre echt. Menschen, die auf eine Verleumdung der Regierung aus sind, weil sie mit der Entscheidung, die die Mehrheit der russischen Bürgerinnen und Bürger getroffen hat, nicht glücklich sind.
Manning: Lassen Sie uns über Ihre Gefängnisse sprechen. Im Februar schieden sechs Wachen aus dem Dienst im Staatsgefängnis von Kowajow aus und erzählten einer deutschen Zeitung, dass sie immer wieder Befehle erhalten hatten, die – ich zitiere – »Herde auszudünnen«. Sie behaupten, dass diese Befehle laut ihren Vorgesetzten von höchster Stelle kamen. Einer von ihnen, Gregor Buschnow, erklärte, dass er dazu gezwungen worden war, zumindest zwei Dutzend ältere Gefangene aus kürzester Entfernung zu erschießen und sie dann spät in der Nacht im Innenhof des Gefängnisses zu verbrennen.
Solowjew (seufzt): Nun, Kowajow ist ein trauriger Fall. Ein sehr trauriger Fall. Wir wissen sehr wohl, dass es in diesem Gefängnis zu einigen Greueltaten kam, und es tut mir sehr leid, dass sechs gute Männer ihre Familien und ihre Arbeit verlassen mussten, damit diese Vorfälle ans Licht kommen konnten. Wir werden sie mit offenen Armen empfangen, wann auch immer sie sich dazu entschließen sollten, wieder zu uns nach Hause zurückzukehren. Wir wissen jedoch, dass es sich bei den Vorfällen in Kowajow um einen Einzelfall gehandelt hat. Es war eine Ausnahme. Wir wissen, dass der Leiter dieser Institution, Boris Iltzkin, nicht bei klarem Verstand war. Aber ich kann Ihnen versichern, dass das Problem umgehend gelöst wurde.
Manning: Die sechs Wachen geben an, dass der Kreml Iltzkin hinrichten ließ, da dieser nicht GENÜGEND Exekutionen hatte durchführen lassen.
Solowjew: Auch das ist wieder einer dieser tragischen Fälle, in denen die furchtbaren Sünden eines einzelnen Mannes nicht nur auf die Gefangenen unter seiner Obhut traumatische Auswirkungen hatten, sondern auch auf das mentale Wohlbefinden der Männer, die für ihn arbeiteten. Natürlich glauben diese Männer an solche Dinge. Sie waren in einer Welt gefangen, in der sie gezwungen wurden, furchtbare Verbrechen zu begehen, und all das in dem falschen Glauben, dass diese von ganz oben angeordnet worden waren. Woher soll man wissen, wem man noch vertrauen kann, wenn man solche Dinge erlebt hat? Es ist verständlich, dass
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