Die Unsterblichen
würde ich die Arme nach ihr ausstrecken und sie drücken. Ich hatte solche Angst, ich hätte sie verloren.
»Was guckst du denn so?«, will sie wissen und sieht mich unverwandt an.
»Ich schaue dich an.« Ich lächele.
»Und?«
»Und ich bin ja so froh, dass du hier bist. Und dass ich dich noch sehen kann. Ich hatte schon Angst, das ginge nicht mehr, nachdem Ava mir gezeigt hat, wie man das mit diesem Schutzschild macht.«
Sie lächelt. »Um ehrlich zu sein, es ging auch nicht mehr. Ich musste echt die Energie hochfahren, damit du mich sehen kannst. Ich hole mir jetzt sogar welche von dir. Bist du müde?«
Ich zucke die Achseln. »Ein bisschen, aber ich bin ja auch gerade erst aufgewacht.«
Sie schüttelt den Kopf. »Ist egal. Das bin trotzdem ich.«
»Hey, Riley.« Ich sehe sie an. »Gehst du immer noch zu Ava?« Mit angehaltenem Atem warte ich auf die Antwort.
»Nö, das hab ich auch hinter mir. Jetzt komm schon, ich kann's gar nicht erwarten, dein Gesicht zu sehen, wenn du dein neues iPhone auspackst. Uups!« Lachend schlägt sie die Hand vor den Mund, während sie rückwärts durch die geschlossene Zimmertür geht.
»Du bleibst wirklich hier?«, flüstere ich und verlasse das Zimmer auf herkömmliche Art und Weise. »Du musst nicht weg oder musst irgendwo anders sein?«
Sie klettert aufs Treppengeländer und rutscht hinunter; dabei schaut sie lächelnd zu mir zurück. »Nö, jetzt nicht mehr.«
Sabine gab den Ring zurück, ich hatte ein neues iPhone, Riley kam wieder jeden Tag zu Besuch und begleitete mich manchmal sogar zur Schule. Miles fing etwas mit einem Tänzer aus der Zweitbesetzung von Hairspray an. Haven färbte sich das Haar dunkelbraun, schwor allem ab, was gothic war, und begann den schmerzhaften Prozess, sich ihr Tattoo weglasern zu lassen. Sie verbrannte alle ihre Drina-Kleider und trug stattdessen Emo. Silvester kam und ging, begangen mit einer kleinen Feier bei mir zuhause, mit Apfelschorle für mich (ich war offiziell trocken), verbotenem Champagner für meine Freunde und einem Mitternachtsbad im Jacuzzi. Reichlich zahm für eine Silvesterparty, aber überhaupt nicht langweilig. Stacia und Honor bedachten mich nach wie vor mit bösen Blicken, so ziemlich genau wie früher, sogar noch schlimmer an Tagen, an denen ich etwas Hübsches anhatte. Mr. Robins fing ein neues Leben an (eins ohne seine Tochter und seine Frau), Ms. Machado wand sich noch immer, wenn sie meine Kunstprojekte betrachtete, und zwischen alldem war Damen.
Wie Fugenmasse um eine Kachel, wie der Leim in einem Buch, so füllte er alle meine Leerstellen aus und hielt alles zusammen, schloss alles ein. Während jeder Klassenarbeit, jeder Haarwäsche, jeder Mahlzeit, jedem Song, jedem Bad im Jacuzzi hatte ich ihn in meinem Kopf. Fand schon Trost darin, nur zu wissen, dass er da draußen war - irgendwo -, obwohl ich mich gegen ihn entschieden hatte.
Als der Valentinstag kommt, sind Miles und Haven verliebt - allerdings nicht ineinander. Und obgleich wir beim Lunch zusammensitzen, könnte ich genauso gut allein sein. Die beiden sind ständig viel zu sehr damit beschäftigt, sich über ihre Sidekicks zu beugen, während mein iPhone stumm und unbeachtet neben mir liegt.
»O mein Gott, das ist echt der Hammer! Nicht zufassen, was der alles auf dem Kasten hat!«, stößt Miles zum x-ten Mal hervor und blickt mit vor Lachen gerötetem Gesicht von einer SMS auf, während er die perfekte Antwort ausknobelt.
»O mein Gott, Josh hat mir gerade ohne Ende Songs geschenkt! Das hab ich ja so was von nicht verdient«, brummelt Haven, während sie mit beiden Daumen drauflostippt.
Und obwohl ich mich für sie freue, obwohl ich glücklich darüber bin, dass sie glücklich sind, bin ich mit den Gedanken beim Kunstunterricht in der sechsten Stunde, und ich überlege, ob ich schwänzen soll. Denn hier in der Bay View Highschool ist heute nicht nur Valentinstag, heute ist auch Secret Hearts Day. Was bedeutet, dass diese großen, roten, herzförmigen Lollis, die mit den kleinen rosafarbenen Liebesbriefchen, die sie die ganze Woche vertickt haben, endlich verteilt werden. Und während Miles und Haven fest damit rechnen, einen zu bekommen, auch wenn ihre jeweiligen Freunde nicht auf unsere Schule gehen, hoffe ich einfach nur, diesen Tag einigermaßen klaren Verstandes und leidlich unversehrt hinter mich zu bringen.
Ich muss zugeben, dass die Abkehr von der Kombination aus iPod, Kapuzensweatshirt und dunkler Sonnenbrille mir erheblich
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