Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
und mehrere Zeitungen über Henrietta, »eine der entscheidenden Gestalten im Kreuzzug gegen den Krebs«.
Kurz zuvor hatten Victor McKusick und Susan Hsu in Science die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten veröffentlicht: In einer Tabelle, die ungefähr eine halbe Seite einnahm, zeigten die beiden zusammen mit mehreren Coautoren unter den Überschriften »Ehemann«, »Kind 1«, »Kind 2«, »H. Lacks« und »HeLa« 43 genetische Marker, die in der DNA von Day und zwei Lacks-Kindern vorhanden waren. Auf dieser Grundlage erstellten sie eine Landkarte von Henriettas DNA, die Wissenschaftler benutzen konnten, um HeLa-Zellen in Gewebekulturen zu identifizieren.
Heute würde es keinem Wissenschaftler auch nur im Traum
mehr einfallen, den Namen einer Person zusammen mit Informationen über ihre genetische Ausstattung zu veröffentlichen: Mittlerweile wissen wir, wie viel man an der DNA ablesen kann, so unter anderem auch das Risiko für bestimmte Erkrankungen. Die Veröffentlichung derartiger medizinischer Erkenntnisse wäre eine Verletzung des 1996 verabschiedeten Health Insurance Portability and Accountability Act (HIPAA) und kann mit einer Geldstrafe bis zu 250 000 Dollar sowie mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden. Ebenso würde sie den seit 2008 geltenden Genetic Information Nondiscrimination Act verletzen, der in Kraft gesetzt wurde, damit Menschen nicht aufgrund genetischer Diskriminierung ihre Krankenversicherung oder ihren Arbeitsplatz verlieren. Damals jedoch gab es solche staatlichen Vorschriften noch nicht.
Ein Anwalt hätte der Familie Lacks vielleicht geraten, wegen Verletzung der Privatsphäre oder mangelnder Aufklärung und Einwilligung Klage zu erheben. Die Familie sprach aber mit keinem Anwalt – sie wusste ja nicht einmal, dass jemand Forschungsarbeiten mit ihrer DNA angestellt hatte, von einer Veröffentlichung ganz zu schweigen. Deborah wartete immer noch auf die Ergebnisse ihres vermeintlichen Krebstests, während Sonny und Lawrence eifrig herauszufinden versuchten, wie sie vom Hopkins Geld bekommen konnten. Sie wussten auch nicht, dass ein Weißer namens John Moore auf der anderen Seite des Kontinents den gleichen Kampf aufnahm. Nur dass er im Gegensatz zur Familie Lacks wusste, was man mit seinen Zellen gemacht hatte und wie viel Geld dabei herausgesprungen war. Außerdem verfügte er über die notwendigen Mittel, um einen Rechtsanwalt zu engagieren.
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»Wer hat Ihnen erlaubt, meine Milz zu verkaufen?«
I m Jahr 1976 – dem gleichen Jahr, in dem der Artikel von Mike Roberts im Rolling Stone erschien und die Familie Lacks erfuhr, dass es Leute gab, die Henriettas Zellen kauften und verkauften – arbeitete John Moore zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche als Landvermesser an einer Pipeline in Alaska. Es kam ihm vor, als würde die Arbeit ihn umbringen. Er hatte Zahnfleischbluten, sein Bauch schwoll an, sein ganzer Körper war von Blutergüssen bedeckt. Wie sich herausstellte, litt der 31-jährige Moore an Haarzellleukämie, einer seltenen Krebserkrankung. Dabei füllt sich die Milz mit bösartigen Blutzellen, bis sie sich aufbläht wie ein übervoller Luftballon. Moores Hausarzt überwies ihn an David Golde, einen angesehenen Krebsforscher an der University of California in Los Angeles. Der erklärte, es gebe nur eine Möglichkeit: Die Milz müsse entfernt werden. Moore unterzeichnete eine Einverständniserklärung, der zufolge die Klinik »jedes geschädigte Gewebe oder Körperteil durch Einäscherung entsorgen« durfte. Anschließend entfernte Golde die Milz. Eine normale Milz wiegt noch nicht einmal ein Pfund; bei Moore war sie zehn Kilo schwer.
Nach der Operation zog Moore nach Seattle, wo er mit Austern handelte und sein Leben weiterführte. Von 1976 bis 1983 flog er jedoch alle paar Monate zur Nachuntersuchung zu Golde nach Los Angeles. Anfangs dachte Moore sich nicht viel dabei, nachdem er aber jahrelang zwischen Seattle und Los Angeles hin und her geflogen war, damit Golde ihm Knochenmark, Blut und Sperma abnehmen konnte, kam ihm der Gedanke: Kann
das nicht auch ein Arzt in Seattle machen? Als Moore erklärte, er wolle seine Nachuntersuchungen künftig näher an seinem Wohnort durchführen lassen, bot Golde ihm an, die Flugtickets zu bezahlen und ihn stilvoll im Hotel Beverly Wilshire unterzubringen. Das kam Moore zwar seltsam vor, Verdacht schöpfte er aber erst 1983 – sieben Jahre nach der Operation -, als eine Krankenschwester ihm eines Tages ein neues
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