Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Flaschendrehen gespielt. Rogers hatte schon auf der ganzen Welt gefährliche Recherchen angestellt; jetzt aber saß er auf dem Rücksitz eines Taxis, klammerte sich an den Türgriff und dachte: Verdammt noch mal! Das wäre wirklich blöd, wenn ich ausgerechnet bei der Arbeit an diesem Auftrag ums Leben komme. Das ist doch im Grunde eine ganz harmlose Geschichte!
Als ich mich Jahrzehnte später in seiner Wohnung in Brooklyn mit Rogers unterhielt, vertraten wir beide nur halb im Scherz die Ansicht, dass das rotierende Taxi vermutlich kein Zufall war. Deborah sagte später, Henrietta habe ihn warnen wollen: Er solle ihre Familie in Ruhe lassen. Auch sagte sie, Henrietta habe später in Oakland in Kalifornien den berühmten Brand gelegt, bei dem Rogers’ Haus mit allen Notizen und Unterlagen, die er über HeLa und Henriettas Familie zusammengestellt hatte, den Flammen zum Opfer fiel.
Als Rogers es endlich bis zu Lawrences Haus geschafft hatte, wollte er sich eigentlich bei der Familie nach Henrietta erkundigen, stattdessen aber wurde er selbst mit Fragen bombardiert.
»Man hatte sie nicht gut behandelt, das war völlig klar«, erzählte mir Rogers. »Sie hatten nicht die geringste Ahnung, was los war, und dabei gaben sie sich alle Mühe, es zu begreifen. Aber die Ärzte hatten ihnen nur Blut abgenommen, ohne irgendetwas
zu erklären, und die Familie mit ihren Sorgen allein gelassen.«
Lawrence meinte: »Was ich mich immer frage, wegen dieser Zellen … die sagen, sie wären stärker, sie würden die Herrschaft übernehmen – ist das eigentlich gut oder schlecht? Bedeutet es, dass wir länger leben, wenn wir krank werden?« Rogers erklärte es der Familie: Nein, dass die Zellen unsterblich waren, hieß weder, dass auch sie unsterblich wären, noch dass sie an Krebs erkranken würden. Er war aber nicht sicher, ob sie ihm glaubten. So gut er konnte, erklärte er, was Zellen sind, dann erzählte er von den Presseberichten, die über HeLa erschienen waren, und er versprach, ihnen Kopien davon zu schicken.
Zu jener Zeit schien sich im engeren Verwandtenkreis außer Deborah niemand mehr sonderlich über Henriettas Geschichte oder die Existenz dieser Zellen zu ärgern.
»Ich hatte wegen dieser Zellen keine besonderen Gefühle, als ich zum ersten Mal gehört habe, dass sie noch leben«, erzählte Sonny mehrere Jahre später. »Solange sie nur jemandem helfen! Das habe ich gedacht.«
Das alles änderte sich aber, als er und seine Brüder den Artikel von Rogers lasen. Daraus erfuhren sie:
Zelllinien werden zwischen den Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt getauscht, gehandelt, weitergegeben, angefordert und verliehen … Das Spektrum der Institutionen, aus denen die Zellen stammen, reicht heute von staatlich finanzierten Einrichtungen wie der von Nelson-Rees bis hin zu kommerziellen Unternehmen mit gebührenfreien Telefonnummern, unter denen man für 25 Dollar ein winziges Glasgefäß mit HeLa-Zellen bestellen kann.
Nachdem die Lacks-Brüder diesen Absatz gelesen hatten, interessierten sie sich plötzlich sehr für die Geschichte von HeLa. Außerdem waren sie nun überzeugt, dass George Gey und das Johns Hopkins die Zellen ihrer Mutter gestohlen hatten und mit dem Verkauf Millionen verdienten.
In Wirklichkeit zeigt Geys Lebensgeschichte, dass er sich für Profit nicht sonderlich interessierte: Anfang der 1940er Jahre lehnte er ein Angebot ab, das erste kommerzielle Zellkulturlabor aufzubauen und zu leiten. Zelllinien zu patentieren ist heute allgemein üblich, in den Fünfzigerjahren jedoch hatte noch niemand je etwas davon gehört; ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass Gey die HeLa-Linie patentiert hätte. Er meldete nicht einmal ein Patent auf die Rollerkulturgeräte an, die noch heute in Gebrauch sind und ihm ein Vermögen hätten einbringen können.
Am Ende erhielt Gey vom Hopkins ein komfortables Gehalt, aber reich wurde er nicht. Er lebte mit Margaret in einem bescheidenen Haus, das er von einem Freund für eine symbolische Anzahlung von einem Dollar gekauft und dann jahrelang renoviert und abgezahlt hatte. Margaret leitete das Gey-Labor mehr als zehn Jahre lang unentgeltlich. Manchmal konnten sie die Raten für das Haus nicht zahlen oder keine Lebensmittel kaufen, weil George wieder einmal das Konto leergeräumt und Laborgeräte angeschafft hatte, die sie sich nicht leisten konnten. Schließlich brachte sie ihn dazu, ein eigenes Girokonto für das Labor zu eröffnen, und hielt ihn so weit wie möglich von
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