Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
und der Mann muss, hörst du, muss zur Arbeit gehen, um seine Babys ernähren zu können. Und die Frau liegt im Sterben … Hier in dieser kalt aussehenden Station im John Hopkin Hospital, auf der Seite nur für Schwarze, o ja, ich weiß. Als dann der Tag kam und meine Mutter gestorben ist, hat man ihr ihre Zellen geraubt und das John Hopkin Hospital hat von diesen Zellen gelernt und sie für sich behalten und hat sie denen gegeben, die sie haben wollten und sogar den Namen in HeLa-Zellen geändert und sie uns mehr als 20 Jahre vorenthalten. Gespendet, sagen sie. Nein, nein, nein. Geraubt.
Mein Vater hat nie ein Papier unterschrieben … Ich will, dass sie mir die Beweise zeigen. Wo sind sie?
Je mehr Deborah sich bemühte, etwas über die Zellen ihrer Mutter in Erfahrung zu bringen, desto stärker wurde ihre Angst vor der HeLa-Forschung. Als sie in der Zeitschrift Newsweek unter der Überschrift »Menschenpflanzen« las, Wissenschaftler hätten die Zellen von Henrietta Lacks mit Tabakzellen gekreuzt, glaubte Deborah, sie hätten ein Ungeheuer erschaffen, das halb ihre Mutter und halb Tabakpflanze war. Dann erfuhr sie, dass Wissenschaftler mithilfe der HeLa-Zellen verschiedene Viren wie die Erreger von AIDS und Ebola untersucht hatten; nun stellte Deborah sich vor, ihre Mutter müsse in alle Ewigkeit die Symptome beider Krankheiten erleiden: quälende Schmerzen, blutende Augen, Erstickungsanfälle. Und sie war entsetzt über Berichte, wonach ein »Geistheiler«
erforscht habe, ob man Krebs mit spirituellen Methoden heilen könne. Zu diesem Zweck hatte er versucht, HeLa-Zellen durch Handauflegen zu töten. Er schrieb:
Als ich die Flasche in der Hand hielt, konzentrierte ich mich auf das Bild, das ich mir in meinem Geist von den Zellen gemacht hatte. Ich stellte mir vor, wie in den Zellfeldern eine Störung auftritt und wie die Zellen sich aufblähen … Während ich arbeitete, spürte ich buchstäblich ein Tauziehen zwischen meinen Händen und der kräftigen Anheftungsfähigkeit der Zellen … Dann spürte ich, wie das Feld nachgab, als wäre ich durchgebrochen … Die Zellen sahen aus, als hätte jemand auf jede von ihnen eine winzige Handgranate gelegt – die ganze Kultur war einfach auseinandergerissen! Die Zahl der toten schwimmenden Zellen hatte um das Zwanzigfache zugenommen!
Für Deborah hörte sich das wie ein gewaltsamer Anschlag auf ihre Mutter an. Am meisten Sorgen bereitete ihr jedoch die Tatsache, dass so viele Wissenschaftler und Journalisten auf der ganzen Welt ihre Mutter weiterhin Helen Lane nannten. Wenn sie weitergemacht haben und ihre Zellen genommen haben und wenn die für die Wissenschaft so wichtig sind, könnten sie ihr wenigstens die Anerkennung zuteil werden lassen , das wäre wohl das Mindeste, dachte Deborah.
Der 25. März 1976, als der Rolling Stone mit dem Artikel von Mike Rogers in den Zeitungsläden auslag, war der Tag, an dem zum ersten Mal jemand die wahre Geschichte über Henrietta Lacks und ihre Familie in einer Publikumszeitschrift erzählte. Zum ersten Mal hatte die Publikumspresse berichtet, dass es sich bei der Frau hinter HeLa um eine Farbige handelte. Es war ein heikler Zeitpunkt. Die Nachrichten über die Tuskegee-Studie waren noch frisch im Gedächtnis; die Black Panthers richteten
in öffentlichen Parks freie Kliniken für Schwarze ein und protestierten gegen ein Gesundheitssystem, das in ihren Augen rassistisch war; und der Rassenhintergrund von HeLa war unmöglich zu übersehen. Henrietta war eine schwarze Frau, die in einem Umfeld von Sklaverei und Farmpächtern geboren war und sich wegen des Wohlstandes nach Norden geflüchtet hatte, nur damit dann weiße Wissenschaftler ihre Zellen ohne ihre Einwilligung verwendeten. Es war eine Geschichte über Weiße, die Schwarze verkauften, über schwarze Kulturen, die weiße mit einer einzigen Zelle »verunreinigten«, und das in einer Zeit, in der Personen mit »einem einzigen Tropfen« schwarzen Blutes erst seit Kurzem gesetzlich das Recht erhalten hatten, eine weiße Person zu heiraten. Es war auch eine Geschichte über Zellen einer schwarzen Frau, deren Verdienst, zu einem der wichtigsten Hilfsmittel der Medizin geworden zu sein, nicht gewürdigt wurde. Eine echte Sensationsgeschichte. Durch Rogers’ Artikel wurden auch mehrere andere Journalisten auf das Thema aufmerksam, und die nahmen nun ebenfalls Kontakt zur Familie Lacks auf. In den Monaten nach dem Rolling-Stone -Artikel berichteten auch Jet , Ebony , Smithsonian
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