Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
ihren privaten Mitteln fern. An ihrem 30. Hochzeitstag erhielt Margaret von George einen Scheck über 100 Dollar und eine Notiz, die er auf die Rückseite eines Streifens aus Aluminiumfolie gekritzelt hatte: »Die nächsten 30 Jahre werden nicht so hart. In Liebe, George.« Margaret löste den Scheck nie ein, und ihre finanziellen Verhältnisse verbesserten sich nicht nennenswert.
Mehrere Vertreter des Johns Hopkins, darunter mindestens ein früherer Universitätspräsident, versicherten im Laufe der Jahre in Erklärungen mir und anderen Journalisten gegenüber immer wieder, das Hopkins habe mit den HeLa-Zellen nie auch nur einen Cent verdient, sondern George Gey habe sie stets kostenlos weitergegeben.
Tatsächlich existiert kein schriftlicher Beleg dafür, dass das Hopkins oder Gey jemals Geld für HeLa-Zellen bekommen hätten. Bei vielen gewinnorientierten Zellbanken und Biotechnologieunternehmen aber sieht die Sache ganz anders aus. Die Firma Microbiology Associates – die später zu Invitrogen und BioWhittaker gehörte, zwei der größten Biotechnologiekonzernen der Welt – verdiente mit dem Verkauf von HeLa ihr erstes Geld. Da Microbiology Associates sich in Privatbesitz befand und auch viele andere biologische Produkte vertrieb, lässt sich nicht feststellen, welchen Teil ihrer Gewinne die Firma mit den HeLa-Zellen erzielte. Ähnliches gilt für viele andere Unternehmen. Eines aber wissen wir heute: Invitrogen verkauft HeLa-Produkte zu Preisen von 100 bis nahezu 10 000 Dollar je Gefäß. Eine Suche in der Datenbank des US-Patentamts ergibt mehr als 17 000 Patente, in denen HeLa-Zellen eine Rolle spielen. Und der berufliche Erfolg, den viele Wissenschaftler mithilfe von HeLa erzielten, lässt sich überhaupt nicht in Zahlen fassen.
Die American Type Culture Collection – eine gemeinnützige Einrichtung, deren finanzielle Mittel vorwiegend in die Pflege und Lieferung reiner Zellkulturen zu wissenschaftlichen Zwecken fließen – verkauft seit den Sechzigerjahren HeLa-Zellen. Zu dem Zeitpunkt, da dieses Buch in Druck ging, lag der Preis dort bei 256 Dollar je Gefäß. Die ATCC gibt keine Auskunft darüber, welchen Umsatz sie jedes Jahr mit dem Verkauf von HeLa erzielt, da es sich aber um eine der weltweit beliebtesten Zelllinien handelt, dürften die Zahlen nicht unbedeutend sein.
Von alledem hatten Lawrence und Sonny keine Ahnung. Sie wussten nur, dass Gey am Hopkins die Zellen ihrer Mutter gezüchtet hatte, dass irgendwo irgendjemand Geld damit verdiente und dass dieser Jemand nicht mit Henrietta Lacks verwandt war. In dem Versuch, das Hopkins zur Zahlung des ihnen vermeintlich zustehenden Anteils an den HeLa-Profiten zu veranlassen, verteilten sie Flugblätter an die Kunden in Lawrences Laden, in denen stand, man sei der Familie von Henrietta Lacks ihren Anteil schuldig geblieben.
Deborah hatte keine Lust, sich mit dem Hopkins zu streiten. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Kinder großzuziehen und so viel wie möglich über die Zellen ihrer Mutter zu erfahren. Sie beschaffte sich naturwissenschaftliche Lehrbücher, ein gutes Lexikon und ein Heft, in dem sie einen Absatz nach dem anderen aus den Biologiebüchern abschrieb: »Die Zelle ist ein winzig kleines Gebilde aus lebender Substanz«, notierte sie sich. »Zellen schaffen und erneuern alle Teile des Körpers.« Vor allem aber schrieb sie Tagebucheinträge über die Geschehnisse:
Weiter mit Schmerzen
… wir sollten von allen, die ihre Zellen haben, wissen, was mit ihren Zellen gemacht wird. Man muss sich fragen, warum es mit diesen Nachrichten so lange gedauert hat, nun ja, es geht seit Jahren hin und her mit Videos, Artikeln, Büchern, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, auf der ganzen Welt … Ich war entsetzt. Ich frage, und keiner antwortet. Man hat mir beigebracht, still zu sein, nicht zu reden, nur zuzuhören … Jetzt habe ich etwas zum Reden, Henrietta Lacks, was da außer Kontrolle geraten ist, wie meine Mutter ganz allein alle diese Schmerzen durchgemacht hat mit diesen hartherzigen Ärzten. Ach, und wie mein Vater gesagt hat, wie sie sie bei lebendigem Leib mit der Strahlenbehandlung
gebraten haben. Was ist wohl in diesen kurzen Monaten alles in ihrem Kopf vorgegangen? Wo es nicht besser wurde und sie ihrer Familie entglitten ist. Weißt du, ich bemühe mich, diesen Tag in meinem Geist lebendig werden zu lassen. Kleinstes Baby mit Tuberkulose im Krankenhaus, älteste Tochter in einem anderen Krankenhaus und drei andere zu Hause,
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