Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
beste Erklärung aus der Luft klauben. »Man sagt das, wenn man viel älter ist als du.« Der Advokat nickte zufrieden. »So wie ich. Verstehst du?«
Jonas nickte stumm.
»Wo war ich stehengeblieben?«
Jonas wusste es nicht.
»Genau!«, rief Peregrin Aber. »Ich wollte dir sagen, dass ich weiß, wie dir zumute sein muss. Bestimmt fürchtest du dich ein wenig, habe ich recht?« Der Advokat beugte sich zu Jonas vor. Die Kutsche erklomm den nächsten Hügel. Sachte wurde Jonas gegen die Lehne gedrückt, und vielleicht sah es jetzt so aus, als wiche er zurück.
Peregrin Aber fiel es nicht auf. »Das Wichtigste hat dir Brand bereits erzählt. Richtig? Du erbst , junger Jonas. Du wirst Wunderlich erben, ein altes Herrenhaus. Was sagst du dazu?«
Jonas sagte nichts dazu. Er hörte das Geschirr der Pferde klirren und dachte an Ruben oben auf dem Bock. Wunderlich . Ein Herrenhaus. Dort war Ruben Diener.
»Nun?«, wiederholte Peregrin Aber. »Bist du denn nicht neugierig? Willst du mir denn gar keine Frage stellen? Du willst mir doch bestimmt eine Frage stellen!«
»Warum?«, flüsterte Jonas.
Peregrin Aber lehnte sich zurück und klatschte in die Hände. »Das, mein So… – Junge , ist eine gute Frage!« Der Advokat nahm den Zylinder ab, legte ihn auf die Bank und strich sich sorgfältig die langen Haarsträhnen über den kleinen, kahlen Kopf. »Du erbst Wunderlich, weil seine Besitzerin das so wollte. Sie hat es in ihr Testament geschrieben, das wir morgen eröffnen wollen. Das heißt, ich habe es in ihr Testament geschrieben, und zwar auf ihren Wunsch hin. Aber ich will es nicht unnötig kompliziert machen. Kurzum! Clara Baronin Fink zu Wunderlich hat dir ihr Haus vermacht.« Peregrin Aber nickte entschlossen und machte eine kurze Pause. »Wir haben sie letzte Woche beerdigt«, sagte er dann und senkte den Blick. »Gott sei ihrer Seele gnädig.«
Jonas sah zum Fenster hinaus. Baronin Fink zu Wunderlich. Eine Adlige. Ob sie seine Mutter war?
»Warum?«, flüsterte er noch einmal. Seine Frage war ja nicht beantwortet. Warum sollte ihm jemand etwas vererben? Er dachte an die Schweine, die er jeden Morgen gefüttert hatte.
»Warum sie gestorben ist?« Peregrin Aber senkte die Stimme, bis sie so leise war, wie es ein vertrauliches Gespräch verdiente. »Sie war schon lange krank, mein Junge. Viele Jahre. Außerdem war sie über siebzig. Es kam …« Er strich sich über den Bart. »Es kam nicht gerade überraschend.« Er schlug wieder die Augen nieder.
Draußen hörte Jonas Rubens Peitsche knallen. Wenn die Baronin so alt gewesen war, konnte sie nicht seine Mutter sein.
»Warum hat sie mir ihr Haus denn vererbt? Sie kannte mich doch gar nicht.«
»Nun«, begann Peregrin Aber, »wenn ich ehrlich sein soll – und ich will ehrlich mit dir sein –, ich weiß es nicht. Bis sie mich rief, um das Testament aufzusetzen, hatte ich noch nie von dir gehört, Jonas, und ich war – jawohl – überrascht! Das Testament ist in mancherlei Hinsicht etwas seltsam, aber …« Peregrin Aber machte plötzlich einen für seine Möglichkeiten langen Hals. »… wir werden es durchsetzen. Auch wenn es Alma nicht schmeckt! Du musst wissen, Junge, ich bin als dein Vormund eingesetzt, bis du großjährig bist, und werde dir bis dahin beistehen. Und darüber hinaus! … Wenn du das möchtest, versteht sich.«
Jonas hatte Mühe zu folgen. So viel erfuhr er da und konnte doch nur eine Frage auf einmal stellen.
»Wer ist Alma?«
Peregrin Aber wirkte erleichtert, diese Frage eindeutig beantworten zu können. Es war die Sorte Frage, die er mochte. »Alma ist Claras Cousine«, erklärte er. »Clara und Alma sind zusammen in Wunderlich aufgewachsen – vor langer Zeit – und Alma wäre – wie soll ich sagen? – Claras …« Er wedelte wieder mit den Händen. »… natürliche Erbin gewesen. Die einzige noch lebende Verwandte und so weiter und so fort. Aber Alma hat keine Kinder, so wie Clara keine hatte, und das Testament sieht für Alma …« An dieser Stelle unterbrach sich Peregrin Aber. »Doch gedulde dich bis morgen, Junge! Ich kann jetzt nicht das ganze Testament ausbreiten und habe das auch Alma gegenüber nicht getan. Es ist … sozusagen … ein Geheimnis. Ein offenes Geheimnis. Aber immerhin – ein Geheimnis. Geheimnisse dieser Art gibt es übrigens eine ganz Menge in Wunderlich.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, offenbar fest entschlossen, nicht weiter vorzugreifen.
Jonas rauschte
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