Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
war sie so groß wie Jonas’ Hand, zu groß für den Räuber, und Jonas stand auf, um Brand zu rufen. Der Wieflinger blieb allein in seinem Räuberwald zurück. Wer es nicht besser wusste, musste ihn für einen Kiesel halten.
Brand streckte das Becken vor, verschränkte die Arme vor der Brust und reckte das Kinn – er stand immer so da, wenn jemand kam. Nie sprach er das erste Wort, immer sah er misstrauisch aus, die Augen und die Lippen schmal. Jonas stand meist hinter ihm, einen Schritt versetzt, neugierig und ein wenig ängstlich, so wie jetzt. Er hörte schon die Hufe dumpf auf den gefrorenen Boden schlagen, sah die Räder sich drehen, dass die Speichen verschwammen, roch die sauren Pferdeleiber, als die Kutsche hielt. Glänzend schwarz lackiert war sie, mit elegant geschwungenen Laternen, die bestimmt schon seit dem Morgengrauen brannten. Auf dem Kutschbock saß ein großer Mann mit doppelt geknöpftem Mantel, unter dem Hut lugte sein halblanges schwarzes Haar hervor. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, als er Jonas sah, und Jonas schaute eilig weg. Wie der Kutscher Brand zunickte, bemerkte er trotzdem. Es war ein leises Nicken, als sähe man sich jeden Tag oder hätte sich doch wenigstens gestern zuletzt gesehen. Brand nickte auf dieselbe Art zurück. Keiner sprach ein Wort.
Der Kutscher sprang vom Bock und öffnete den Schlag. Das kreisrunde Dach eines Zylinders aus Biberfilz erschien, ein sehr kleiner, von einer knappen Gamasche bedeckter Knöpfstiefel tastete nach dem Tritt, und dann entfaltete sich ein in teures, schwarzes Tuch gehüllter Mann zu kaum anderthalb Metern Größe ohne Zylinder. Er stemmte seinen Spazierstock mit dem Silberknauf in den Boden, strich sich erst über den kugelrunden Bauch, der so gar nicht zu den dünnen Beinen, die ihn trugen, passen wollte, und ordnete dann den langen Spitzbart. Schließlich räusperte er sich sorgfältig.
»Herr Brand, nehme ich an?« Jonas hatte noch nie jemanden so sprechen gehört, jede Silbe klar und messerscharf. Nicht einmal der Lehrer unten im Dorf sprach so.
Brand nickte. Sonst stand er ganz still.
»Wenn ich mich vorstellen darf? Peregrin Aber, Advokat.« Der Mann verbeugte sich leicht und lupfte den Zylinder. Eine kleine Glatze kam zum Vorschein, über die lange Strähnen mausgrauen Haars gekämmt waren. »Den Herrn«, sagte Peregrin Aber und wies auf den Kutscher, der mindestens zwei Köpfe größer war als er, »kennen Sie ja bereits. Sie können sich deshalb vielleicht vorstellen, weshalb wir gekommen sind.«
Jonas sah erst zum Kutscher, dann zu Brand hinüber. Der Kutscher formte ein Wort mit den Lippen, und Jonas wurde es heiß und kalt, als er begriff. Der Kutscher konnte nur mit den Lippen sprechen. Er war stumm!
Brands Adamsapfel wanderte einmal auf und ab.
»Ja«, sagte Brand matt.
»Ist das der Junge?« Peregrin Aber zeigte mit seinem Spazierstock auf Jonas und sah ihn dann neugierig an. Seine Augen funkelten. »Bist du der junge Jonas?« Er lächelte ihm aus dem Gestrüpp seines Kinnbarts zu.
Jonas drängte sich näher an Brand. Er brachte keinen Ton heraus. Er wusste, was ein Advokat war. Ein Rechtsanwalt. Ein Rechtsverdreher. Das sagte Brand immer voller Verachtung.
»Vielleicht dürfen wir eintreten, Herr Brand? Die Angelegenheit ist durchaus kompliziert. Außerdem ist es kalt hier draußen. Ganz ungemütlich.« Peregrin Aber sah zum Himmel hinauf. »Bestimmt gibt es bald Schnee«, fügte er hinzu, als fürchtete er, vor der Tür noch einzuschneien.
Brand beugte sich zu Jonas herunter. »Geh in den Hof, ja? Ich komme später.« Seine Stimme war brüchig.
Jonas zögerte, aber schließlich gehorchte er – wie immer. Langsam ging er fort, nicht, ohne noch einen Blick über die Schulter zu werfen, um die drei Männer ins Haus gehen zu sehen. Brand vorweg, ein wenig gebeugt, dann Peregrin Aber, der seinen Spazierstock schwang, und zuletzt, mit zwei Schritten Abstand, der stumme Kutscher. Unwillkürlich tastete Jonas nach dem Zettel in seiner Hosentasche. Sie waren gekommen, um ihn zu holen! Das war keine Angst, sondern Gewissheit. Mit einem Mal wusste Jonas ganz genau, dass er die Schweine heute Morgen zum letzten Mal gefüttert hatte. Plötzlich wollte er jedes von ihnen noch einmal berühren, der Kuh und jedem Huhn noch etwas zuflüstern, den Stall noch einmal sehen und von jedem Raum im Haus Abschied nehmen. An Brand und Elsa wagte er gar nicht zu denken. Er sah über die Hügel hinweg, bis sein Blick
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