Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
zurückzulassen.
»Fragen Sie erst gar nicht!«
Unnötig zu erwähnen, dass sie dennoch fragte.
Doch war Gerede gänzlich unangebracht.
»Gehen Sie!«, befahl ich ihr.
Meine Kräfte sollten ausreichen, den schmalen Durchgang zu verteidigen. Wir hatten die Hauptstraße verlassen und einen Seitenweg eingeschlagen, der sich in einen kunstvoll gestalteten Torbogen mit aufgemauerten Schalen aus Bruchstein und Ziegeln verengte.
Kaum größer als eine Tür war die Öffnung.
Das sollte genügen.
Aus dem Augenwinkel heraus registrierte ich, dass Emily dem Irrlicht folgte.
Gut so.
Der Schwarm der Hymenopteras näherte sich.
Gelbschwarz schimmernde Panzer und gestreckte, stachelbewehrte Leiber.
Welch ein Tag!
Mit zwei kräftigen Handbewegungen ließ ich den Schwarm kollabieren, bevor er mich erreichen konnte. Es sah aus, als schlüge jemand mit einer unsichtbaren Hand mitten hinein in das Gewusel angriffslustiger Leiber. Benommene Hymenopteras prallten gegen die Tunnelwände und auf das Kopfsteinpflaster. Doch wurde jede verletzte, aus dem Verkehr gezogene Hymenoptera von nachstürmenden Kämpferinnen ersetzt.
Das Licht, das den Tunnel bisher erhellt hatte, verebbte plötzlich. Jemand hatte die Flutlichtanlage im Amphitheater ausgeschaltet. Dunkelheit kroch in Windeseile durch die Tunnel der Region.
Von einem Moment auf den nächsten war ich blind.
Flügel surrten um mich herum.
Beine krallten sich in meinem Mantel fest.
Die Hymenopteras waren überall.
Emily rannte.
Dicht vor ihr durchschnitt Dinsdale mit eleganten Bewegungen die Nachtschwärze der Region. Das Irrlicht kannte den Weg durch dieses römische Labyrinth.
Im wirren Zickzack schlängelte sich die Gasse zwischen den vormals prächtigen Bauwerken hindurch. Töpfe und zerbrochene Krüge pflasterten den Weg, sodass Emily darauf achten musste, nicht in eine der großen Tonscherben zu treten. Allzeit musste sie Gegenständen ausweichen, die ihr im Weg lagen.
Furchtsam warf sie Blicke über die Schulter.
Im Gang hinter ihr war nur Dunkelheit.
Doch vernahm sie das Surren.
Sie blieb kurz stehen, um Atem zu schöpfen, und lauschte. Fast hätte sie es nicht gehört, da ihr eigener Atem rasselte und ihr das Blut im Kopf pulsierte. Doch es war da. Das Surren. Und es wurde lauter. Viel zu schnell, wie sie fand.
Die Hymenopteras!
Sie kamen!
Was immer ihr Mentor vorgehabt hatte, er musste gescheitert sein. Der Schwarm war nun hinter ihr her. Sie sah die gelbschwarzen Leiber vor sich, die spindeldürren hakenbewehrten Beine und die sich ewig windenden Hinterleiber mit dem Stachel. Der Gedanke, dass eines dieser Viecher hinter ihr her war, hätte schon genügt, um ihr den Tag zu verderben. Die Gewissheit aber, dass es wohl hunderte dieser Hymenopteras waren, die sich da hinten im Tunnel mit rasend schneller Geschwindigkeit auf sie zubewegten, ließ sie fast schon verzweifeln.
Dinsdale würde kaum mehr als eines dieser Wesen in Asche verwandeln können. Außerdem wusste sie aus den vergangenen Erfahrungen mit dem Irrlicht, dass Dinsdales Kräfte nicht unbegrenzt waren. Das Irrlicht war ein Pfadfinder, kein Kämpfer.
Sie atmete tief durch.
Und rannte weiter.
Keuchend folgte sie dem Irrlicht, während das Surren des Schwarms hinter ihr an Lautstärke gewann. Ausgerechnet jetzt kamen ihr die Geschichten in den Sinn, von denen Neil ihr berichtet hatte. Geschichten, in denen mutige Prinzen in die tiefen Schichten hinabstiegen, um hehre Heldentaten zu vollbringen. Oftmals trafen sie auf eine Hymenoptera, die gar grausig mit ihren Opfern umsprang. Emily hoffte inständig, dass das meiste davon reine Erfindung des Geschichtenerzählers gewesen war und dass jene Wesen, die gerade hinter ihr her waren, nicht ganz so grausam sein würden.
Ach, Neil mit seinen Geschichten.
Wäre er wenigstens bei ihr. Er oder Aurora.
Nicht, dass das die Situation wesentlich verbessert hätte. Nein, aber erträglicher hätte die Anwesenheit von Freunden sie allemal gemacht. Neil saß vermutlich im Raritätenladen, las ein Buch und ahnte nicht, dass Emily vor einem Schwarm dieser seltsamen Insekten floh.
Es half nichts.
Weder Jammern noch Wehklagen.
Der Schwarm näherte sich, und Emily musste sich etwas einfallen lassen.
Und zwar schnell.
Sie rannte und rannte und spürte dabei, wie die Kräfte sie immer mehr verließen. Sie würde nicht endlos weiterlaufen können, und wenn sie alle Schönrederei außen vor ließ, dann machte der Schwarm nicht im Geringsten den Eindruck, als
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