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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Viecher das Fass knacken würden. Überall um das Mädchen herum kratzte und schabte und surrte und knarzte es. In einer BBC-Dokumentation hatte sie einmal gesehen, wie Ameisen eine weggeworfene Dose Limonade unter ihren Leibern begraben hatten. Sich ausgerechnet in dieser Situation an jenes Bild zu erinnern, gefiel Emily ganz und gar nicht.
    Ein kräftiger Ruck riss beinahe den Deckel vom Fass.
    Mit letzter Kraft hielt Emily den Griff fest.
    Was war da draußen nur los?
    Still war es geworden.
    Mit einem Mal.
    Dann wurde der Deckel hochgehoben.
    Ruckartig.
    Flog durch die Luft und knallte polternd auf den Boden.
    Ein Gesicht tauchte in der Öffnung auf, umrandet vom Schein einer Fackel. »Eine verlassene Lady und so hübsch obendrein.« Eine Stimme, wie sie Emily honigsüßer nie vernommen hatte. »Und noch dazu allein in einem Fass hockend. Das muss mein Glückstag sein.« Der junge Mann reichte dem Mädchen die Hand. Wie benommen griff Emily danach.
    Niemals hatte sie einen schöneren Menschen gesehen.
    »Dorian Steerforth«, stellte er sich vor.
    »Emily Laing«, stotterte Emily.
    So schlug das Schicksal zu.

Kapitel 8
Aurora Fitzrovia
    Es war bereits spät am Abend, als Aurora nach Hause kam. Als sie vor der Tür des Reihenhauses in Hampstead stand, hielt sie einen Moment lang inne, bevor sie den Schlüssel ins Schloss stecken, umdrehen und eintreten würde. Noch immer hatte sie nichts von Emily und deren Mentor gehört. Die beiden waren in den Eingeweiden der uralten Metropole verschollen.
    Unentschlossen stand das Mädchen vor der Haustür mit dem schmalen Briefschlitz und dachte an ihre Pflegeeltern, die Quilps, die sie zweifelsohne mit besorgten Fragen löchern würden, wo denn ihre Freundin abgeblieben sei. Aurora wusste, dass sie die Quilps kaum würde beruhigen können, indem sie ihnen von der uralten Metropole berichtete. Beide missbilligten aufs Äußerste, dass die Mädchen von Micklewhite und Wittgenstein in diese Geschichte hineingezogen wurden.
    Schon als Aurora die Straße entlanggekommen war, hatte sie von weitem das warme Licht hinter den Fenstern ihres Zuhauses gesehen.
    Ihr Zuhause.
    Streatley Place No. 17.
    Ja, dies war jetzt ihr Zuhause.
    Jedes Mal genoss es Auora aufs Neue, hierher zurückkehren zu können.
    Mit Grausen erinnerte sie sich der hohen, kalten und undurchdringlichen Mauern des Waisenhauses. Als man sie dorthin überstellt hatte, war ihr bereits allein beim Anblick des ehemaligen Lagerhauses Angst und Bange geworden. Der Reverend, der ihr die Pforte mit einem abfälligen Blick geöffnet hatte, hatte dieses Gefühl nur noch erheblich verstärkt. Geregnet hatte es, und zwar in Strömen. Typisches Londoner Wetter. Aurora war eingetreten, und nachdem man ihr das Gemeinschaftszimmer, ihr Bett und ihr Schrankfach gezeigt hatte, übergab der Reverend sie der weiß geschminkten Frau mit der blonden Mähne und dem breiten, boshaften Lächeln. Damals hatte Aurora natürlich ihren Namen noch nicht gekannt. Dass die Frau nichts Gutes im Schilde führte, war jedoch offenkundig gewesen.
    Madame Snowhitepink.
    Mitgenommen hatte sie die seltsame Frau, zu der der Reverend überaus freundlich gewesen war. Entführt in ein altes Haus irgendwo in der Stadt. Danach war Aurora nicht mehr das Kind gewesen, das vor Stunden aus dem Taxi gestiegen war. Vielleicht war sie gar kein Kind mehr gewesen von jenem Abend an. Allenfalls jung. Überhaupt waren viele der Waisenkinder lediglich als Kinder zu bezeichnen, weil sie noch jung an Jahren waren.
    Wenn Kinder bemerken, dass Erwachsene schwach oder böse sein können, dann werden sie entweder selbst zu Erwachsenen oder sie zerbrechen an dieser Erkenntnis. Im Waisenhaus hatte Aurora beide Arten von Kindern kennen gelernt. Diejenigen, die vor ihrer Zeit die Kindheit hinter sich gelassen hatten, und jene, die dem Irrsinn anheimfielen, die mit leeren Blicken auf ihren Bettchen hockten, mit ausdruckslosen Gesichtern am Essenstisch saßen und mit gleichgültigem Gang ihre Arbeiten erledigten. In den Augen dieser Kinder war das Leben einer ständigen Verzweiflung gewichen.
    Diese Bilder waren noch immer da.
    In den Träumen.
    Selbst im Wachen.
    Aurora würde sie niemals ganz loswerden.
    Der Elf und der Alchemist hatten davon gesprochen, dass Reverend Dombey der Gehilfe des Lichtlords gewesen war. Ein Mensch zwar, jedoch hunderte von Jahren alt. Ein Wesen, das sein Leben mit verderbter Magie und der Unschuld vieler Kinder verlängert hatte. Die Kinder mit den

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