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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hat den Golem von London zur Strecke gebracht. Jack the Ripper ist gefasst worden.«
    Die Nationalbibliothek wirkte mit einem Mal trotz ihrer Größe beengend.
    Ein Herbststurm peitschte kalten Regen gegen die Kuppel, und das ferne Prasseln erfüllte den Raum. Lange Schatten griffen aus den tiefen Regalreihen nach dem Mädchen.
    »Was stand auf dem Zettel?«
    »Die Schrift konnte nicht mehr entziffert werden.«
    »Und es hat niemand jemals erfahren, wer den Golem erschaffen hat?«
    »Nein, Miss Fitzrovia. Es gab, wie ich bereits erwähnte, Verdächtigungen und Beschuldigungen. Alles, jedoch keine Beweise. Manderley Manor argwöhnte, dass Mordred Mushroom, Martins Vater, etwas mit dem Tod Seiner Lordschaft zu tun hatte. Mushroom bezichtigte die Manderleys der Verleumdung und Hetzerei. Sie wissen, wie so etwas läuft. Im Grunde genommen ist es ein Verhalten, das demjenigen von Kindern nicht unähnlich ist. Irgendwann weiß niemand mehr so recht, wer mit den Anschuldigungen begonnen hat. Alle wähnen sich im Recht und verteidigen dieses Recht mit Mitteln, die nicht immer angemessen sind.«
    Aurora erinnerte sich der häufigen Streitereien im Waisenhaus, die meist durch den Rohrstock des Hausmeisters Mr. Meeks beendet worden waren. Ein böses Wort hatte das nächste ergeben, eine boshafte Bemerkung die folgende, ein Schlag den Gegenhieb, bis es blutige Nasen und ausgerissene Haare und zerbrochene Herzen zu beklagen gab. Kinder wussten selten, wann es an der Zeit war, aufzuhören.
    »So ist es also zu den Whitechapel-Aufständen gekommen?«
    »Bringt man es auf den Punkt, ja!«
    Ein Wort hatte das andere ergeben. Erwachsene waren eben auch nicht anders als Kinder. Jedes Kind ahnt dies insgeheim.
    »Missgunst breitete sich in London aus wie eine Epidemie. Schlimmer noch als die Pest von 1348. Die Metropole wankte und war in ihren Grundfesten erschüttert, weil die mächtigen Häuser in einer Blutfehde gefangen waren.«
    »Erst die Hochzeit zwischen den Häusern beendete das alles?«
    »Der Teil der Geschichte ist Ihnen hinlänglich bekannt«, stellte Maurice Micklewhite fest.
    Was nun blieb, war die Frage, wer damals den Golem erschaffen hatte.
    »Wie können wir herausfinden, was passiert ist und was geschehen wird?«, wollte Aurora wissen.
    Der Elf klopfte auf den Bücherberg, der sich zwischen ihnen auf dem Tisch ausbreitete. »Wir werden unsere Köpfe gebrauchen.« Er zwinkerte dem Mädchen aufmunternd zu. »Vielleicht finden wir Hinweise auf eine ähnliche Situation, die Rückschlüsse erlaubt auf das, was hier vorgeht. Gab es vorher schon einmal mehrere Golems, die in irgendeiner Stadt aufgetaucht sind? Haben wir vielleicht etwas übersehen?«
    Ein lautes Klopfen zerriss die Ruhe unter der großen Kuppel.
    Ließ die beiden aufschrecken.
    Elf und Mädchen drehten sich gleichermaßen um. Keiner der beiden hatte die Neuankömmlinge den Saal betreten hören. Geschickt hatten sie sich herangepirscht. Immerhin waren sie Jäger. Und alt. So alt.
    »Ich würde sagen, Sie haben etwas übersehen«, zischte eine bekannte Stimme.
    Aurora wurde ganz bleich.
    Unschöne Erinnerungen wurden in ihr heraufbeschworen beim Klang dieser Stimme.
    »Tock tock tock«, sagte die zweite Stimme und klopfte mit einem Buch gegen die Regalwand.
    Maurice Micklewhite hatte geahnt, dass die beiden irgendwann zu unpassender Stunde wieder auftauchen würden.
    »Wir haben Ihnen beiden etwas mitzuteilen.« Die erste Gestalt stand jetzt neben dem Tisch und verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Nicht wahr, Mr. Wolf?«
    Aus dem Schatten der hohen Regale trat eine zweite, in einen Kapuzenmantel gehüllte Figur. »So ist es, Mr. Fox, so ist es!«
    Das alte Amphitheater erwachte zum Leben, als die Lichtstrahlen es bis in den letzten Winkel durchfluteten.
    »Das ist eine Falle«, murmelte ich wütend.
    Wer installierte schon hier unten in der Region eine Flutlichtanlage? Festspiele fanden in diesem Theater nämlich schon lange keine mehr statt. Das Licht diente also nimmer dazu, Schauspieler in Szene zu setzen. Nein, dies Licht hier verfolgte nur einen einzigen Zweck: Die unzähligen Raupen zu verwandeln. Irgendjemand hatte es eingeschaltet und uns damit in eine wenig erbauliche Lage gebracht.
    Emily war neben mir erstarrt.
    Drüben auf der Bühne lag die ausgestreckte Gestalt des Golems. Regungslos. Und größer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Emilys Vision ergab also einen Sinn. Sie hatte sich im Bewusstsein des Golems befunden, und dann hatte jemand die

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