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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Stimme.
    »Wo hast du ihn gesehen?«
    »Auf der Photographie«, antwortete Aurora, die sich an den alten Mann erinnerte. An Maurice Micklewhite, der ihr damals bereits seine Vermutungen unterbreitet hatte, über die sie allerdings mit niemandem hatte sprechen können, weil sie kurz darauf im Bahnhof am Leicester Square gestorben war. In der Nationalbibliothek hatten sie herausgefunden, dass Mordred Mushroom sich im Frühjahr 1886 in Prag aufgehalten hatte, also vor den Morden im Eastend, was dem Elfen einige wilde Spekulationen wert gewesen war. Außerdem war Aurora damals auf jene Photographie gestoßen.
    »Der Mann, neben dem Master Mushroom stand«, sagte Aurora, »war alt.« Tiefe Falten hatten sein Gesicht durchzogen, und eine drahtlose, runde Brille hatte er getragen. Ganz klar sah sie des alten Mannes Gesicht vor sich. Die Augen, die sie schon damals an jemanden erinnert hatten. Ein Platz in Prag. Die Sonne scheint. Im Hintergrund eine Gasse und Häuser mit hohen Fenstern und tiefen, schattigen Eingängen. Ein Friedhof hinter einer knochigen Mauer.
    »Es war Steerforth.«
    Die Gewissheit, mit der sie dies aussprach, erschreckte Emily.
    Aurora klang mit einem Mal so erwachsen.
    »Du meinst«, hakte Emily ungläubig nach, »dass Steerforth bereits damals Kontakt zu Mushroom Manor gehabt hat?«
    Aurora nickte. Als ihr auffiel, dass Emily das Nicken nicht sehen konnte, sagte sie: »Ja!«
    Maurice Micklewhite hieb mit der Faust auf den Tisch. »Habe ich es nicht geahnt!«
    Ich schien der Einzige hier zu sein, den zu informieren man schimpflich vergessen hatte.
    »Der Nyx schickte Mordred Mushroom nach Prag, um dort einen Verbündeten zu treffen«, erklärte Lycidas. »Einen Wissenden.« Verschwörerisch und unheimlich hallte seine Stimme von den Wänden der Krypta wider. »Jemanden, der dem Nyx treu ergeben war.«
    Mr. Fox und Mr. Wolf verfolgten das Gespräch teilnahmslos von einem der anderen Tische aus.
    »Mordred Mushroom machte also die Bekanntschaft jener Person, die im Besitz eines uralten, geheimen Wissens war. Der Nyx selbst wusste nur, dass jene Person die göttliche Formel kannte, dass sie sie vom einzigen Menschen erhalten hatte, der jemals hinter ihren Wortlaut gekommen war.«
    »Rabbi Löw!« Maurice Micklewhite folgte den Ausführungen des Lichtlords mit glühenden Augen.
    Und Miss Monflathers stellte schlicht fest: »Der Schöpfer des Golems.«
    Lycidas nickte.
    »Ja, der Golem.« Müde strich er sich eine Strähne des langen Haares aus der Stirn.
    Das war es also, was Mordred Mushroom nach Prag verschlagen hatte!
    Jemand war im Besitz der Formel, die aus Lehm ein lebendiges Wesen zu zaubern vermochte. Ein geheimes Treffen hatte stattgefunden. Zwischen Master Mushroom und dem alten Mann. Und der alte Mann, der das Letzte auf dieser Welt gewesen war, was Rabbi Löw gesehen hatte, verkaufte die schwarze Magie an das Oberhaupt des elfischen Hauses aus Blackheath.
    »Ja, lieber Wittgenstein, Sie haben es erfasst.«
    Lycidas hatte meine besorgte Miene gedeutet.
    »Er kehrte nicht alleine nach England zurück«, sagte ich.
    »Mushroom?«
    »Ja.«
    »Nein. Der alte Mann begleitete ihn, denn Mordred Mushroom hatte Großes vor.«
    »Er wollte einen Golem erschaffen«, schlussfolgerte ich. »Hier in London.«
    Jack the Ripper!
    »Nein, Mortimer.« Wie immer schien meine alte Lehrerin bereits weitergedacht zu haben. »Die Wahrheit ist viel schrecklicher, nicht wahr?« Die weisen Augen sahen Hilfe suchend zum Lichtlord. »Nicht nur einen Golem wollten sie erschaffen.« Mit einem Mal fiel ihr das Sprechen schwer, und ich erinnerte mich an jene Unterrichtsstunde, in der sie uns beigebracht hatte, dass manches Wissen dem Wissenden keinen Gewinn brächte und man niemals danach trachten sollte, dieses Wissen zu erlangen. »Was hätte ein einzelner Golem schon gegen die Truppenstärke Manderley Manors ausrichten können?«
    Lycidas nippte erneut am Cappuccino.
    »Nun sagen Sie mir«, trug er meiner einstigen Lehrerin auf, »was Jack the Ripper tatsächlich gewesen ist?«
    Die grauhaarige Frau in der ebenso grauen Kleidung ließ sich nicht mehrmals dazu auffordern. »Jack the Ripper«, erwiderte sie ernst, »war ein Experiment. Eine Fingerübung.«
    Lycidas formulierte es anders. »Der Erstgeborene.«
    Selbst den Kindern begann zu dämmern, worauf dies alles hinauslief.
    »Sie haben den Erstgeborenen erschaffen«, betonte Lycidas erneut. »Den Erstgeborenen, der erst einmal lernen musste. Zu gehorchen. Zu töten.

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