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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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schrie ich.
    Emily atmete schnell.
    Ich trat neben sie.
    Umfasste ihren Kopf mit beiden Händen. Massierte ihn. Forderte Emily auf, sich zu entspannen.
    Besorgt verfolgte Aurora jede meiner Bewegungen.
    »Können Sie ihr helfen?«, fragte sie beunruhigt.
    »Es wird ihr schon bald wieder besser gehen«, beruhigte ich sie.
    Da übergab sich Emily auf meine Schuhe.
    Sie schluchzte.
    »Es ist in Ordnung«, sagte ich und wischte ihr mit meiner Mütze das Erbrochene vom Gesicht.
    »Emmy?«
    »Es geht wieder«, stöhnte diese.
    Zitternd klammerte sie sich an meinen Armen fest.
    »Sie sollten dies nicht wieder tun«, riet ich ihr und betrachtete die säuerlich riechende Lache, in deren Mitte ich stand. Die Mütze würde ich ohnehin nicht mehr benutzen können. Also wischte ich die Stiefelspitzen damit ab und warf sie dann in eine Ecke des Tunnels.
    »Tut mir Leid um Ihre Schuhe«, murmelte Emily.
    Ich zog ein mürrisches Gesicht, das sie anscheinend erahnen konnte.
    »Und die Mütze«, ergänzte sie.
    Ich lächelte kurz.
    »Es geht Ihnen doch wieder besser?«
    Sie nickte.
    Zögerlich.
    »Dann lassen Sie uns weitergehen«, schlug ich vor. »Die Zeit ist nicht unser Verbündeter.«
    Emily erhob sich. Immer noch unbeholfen und gestützt von ihrer Freundin.
    Ich ergriff ihre Hand und legte etwas hinein.
    »Was ist das?«, fragte sie und tastete danach.
    Ich sagte es ihr: »Kaugummi.«
    Aurora verkniff sich ein Grinsen.
    Verschwörerisch flüsterte ich: »Damit es nicht so riecht.«
    Emily musste mit einem Mal lachen. Ganz laut und unbeherrscht.
    »Geht es Ihnen gut?«
    »Ja«, sagte sie und verbesserte sich sogleich: »Nein, eigentlich nicht.« Sie blickte mit ihren blinden Augen in die Richtung, aus der sie mich hatte sprechen hören. »Aber ein Kaugummi ist genau das, was ich jetzt brauche.« Behände pulte sie ihn aus der Verpackung und steckte ihn sich in den Mund. Und ganz ernsthaft fügte sie hinzu: »Noch nie hat das ein Erwachsener für mich getan.«
    Verständlich.
    »Danke«, sagte sie.
    Dieses Kind!
    »Wenn das so weitergeht«, murmelte ich, »dann stehen wir noch hier, wenn London eine Geschichte ist, die niemand mehr hören will.« Sich in dieser Situation mit meiner Schutzbefohlenen über die Beseitigung von Erbrochenem zu unterhalten, schien mir unangemessen. Nicht unbedingt das Gespräch, das mir vorschwebte. Also drängte ich die Mädchen zum Weitergehen.
    Emily ließ die ganze Angelegenheit auf sich beruhen.
    Sich dauerhaft der Sichtweise ihrer Freundin zu bedienen schien, nach dem, was sie gerade erlebt hatte, kaum ratsam zu sein. Also begrub sie diese Hoffnung schnell wieder. Nachdenklich und in sich gekehrt ließ sie sich von Aurora durch die Tunnel führen.
    Dann erreichten wir endlich St. Paul’s.
    Den unterirdischen Eingang zur Kathedrale, der direkt in die Krypta führt. Durch eine Türschwelle in der Mauer gelangt man in den Souvenirladen, dessen Türen sich wiederum mühelos von innen öffnen lassen.
    »Hier erwartet uns Master Micklewhite«, erklärte ich den Kindern.
    Das Hallen unserer Schritte auf dem Marmorboden und die Kälte, die selbst die moderne Fußbodenheizung nicht gänzlich hatte vertreiben können, erinnerten Emily an die Spukhäuser aus den Geschichten von Wilkie Collins und Shirley Jackson.
    »Lass mich bloß nicht allein«, flüsterte sie Aurora zu.
    Ein Händedruck war die Antwort.
    »Folgen Sie mir.« Ich war einige Male als Besucher in diesen Räumen gewesen. Um der Gefährten zu gedenken, die hier in ihren Sarkophagen ruhten und denen die Welt ihre Errungenschaften mit Vergessen gedankt hatte.
    Das Café war unser Ziel.
    »Dort werde ich euch erwarten.« Hatte Maurice Micklewhite am Telefon versprochen.
    Tief unten in der Krypta, das sollte ich erwähnen, befindet sich kurioserweise ein Café. Alles in London dient letzten Endes den Touristen. St. Paul’s bildet da wie die Westminster Abtei auch keine Ausnahme. Eine niedrige, runde Decke, die von schmalen Strahlern mit warmem Licht geflutet wird, lässt den Besucher unwillkürlich an eine behagliche Höhle denken. Große Skulpturen aus poliertem Stein zieren die Wände: Engel, Fabelwesen und Marienbildnisse. Die runden Tische sind mit weißen Tischdecken versehen. Moderne Stühle mit Rahmen aus glänzendem Stahl umgeben sie. Vasen aus hellem Ton mit Plastikblumen zieren die Tische.
    Als wir dort eintrafen, sahen wir Maurice Micklewhite und Miss Monflathers an einem der Tische sitzen; Mr. Fox und Mr. Wolf, die mir noch bestens in

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