Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
Möglichst unauffällig. Und lautlos.« Er machte eine kurze Pause. »Doch frage ich Sie alle: Was wollte er letzten Endes damit erreichen?«
Um Manderley Manor niederzustrecken, hätte es einer Vielzahl dieser Kreaturen bedurft.
Der Lichtlord sah die Erkenntnis in unseren Gesichtern.
Klatschte in die Hände und rief laut: »Genau! Eine Armee aus Erde zu züchten hatte in seiner Intention gelegen. Golemkrieger, die London in ihre Gewalt würden bringen können. Kämpfer des Nyx, geschaffen aus der Erde und ausgestattet mit der Magie der Erde. Den Befehlen ihrer Herren bedingungslos hörig.«
Die uralte Metropole hätte ihnen gehört, dachte ich.
Blieb noch eine Frage offen. »Wer war der Alte, den Miss Aurora auf der Photographie gesehen hat?«
»Ein uraltes Wesen. Nocnitsa nannten es die Engel einst. In der frühen Sprache.«
»Ein Aphrodit.«
»Der Nocnitsa ist ein Wiedergänger, der altert und sich an der Menschen tiefstem Selbst zu laben vermag. Er betört die Menschen. Zaubert verliebtes Lächeln in ihre Gesichter, und mit federleichter Beiläufigkeit erzeugt er Hass und Missgunst. Ja, es war ein Aphrodit, der den Rabbi Löw einst aufsuchte. Auch diesen betörte er und nahm ihm die Formel. Die göttliche Rezeptur, um einem Klumpen Lehm Leben einzuhauchen. Als der Rabbi durch die Hand seiner Schöpfung starb, glaubte man die Formel verloren. Doch wurde sie aufbewahrt.«
»Von Steerforth?«
»Der Nocnitsa gibt sich im Laufe der Zeit immer neue Namen. Dieser hier begleitete Lord Mushroom nach London, wo er in die feine Gesellschaft der uralten Metropole eingeführt wurde. Und im Geheimen erschuf er einen Golem. Aus dem schlammigen Unrat, den die Themse anspült, formte er jene Kreatur, die unter seinem Befehl und dem Lord Mushrooms stand. Gemeinsam trainierten sie den Golem. In Whitechapel. An Subjekten, die Lord Mushroom für nicht lebenswürdig hielt.«
»Den Prostituierten aus dem Eastend«, stellte Maurice Micklewhite fest, der sich gut an jene Zeit erinnern konnte. An Frederick Abberline, den beherzten Polizisten, der sein Leben lassen musste, um London von dem Übel zu befreien, das die Themse ausgespuckt hatte.
»Doch, wie Sie alle wissen«, fuhr Lycidas fort, »geriet der Golem außer Kontrolle.«
Dieser Teil der Geschichte erschien uns bekannt.
Wie sein Vorbild aus der Goldenen Stadt, so trachtete auch der Golem von London danach, dem Menschen ähnlicher zu werden. Sammelte Organe, Haare und sogar Haut.
»Er sollte die Prostituierten töten«, mutmaßte Miss Monflathers, »jedoch nicht abschlachten.«
»Sie sagen es! Die Verstümmelungen waren nicht geplant, und allein die mangelnde Kontrolle dieser Kreatur hielt Mushroom Manor davon ab, weitere dieser Wesen zu erschaffen.«
»Dennoch ließen sie ihn gewähren«, stellte ich fest.
Lycidas nickte. »Der Golem wurde auf Angehörige Manderley Manors angesetzt.«
Emily musste an ihre Großmutter denken. Diese bösartige, alte Frau, die womöglich nicht immer bösartig und unnahbar und herrschsüchtig gewesen war. Die ihren Mann geliebt und ihre Tochter verwöhnt hatte. Die sich ein Leben erträumt hatte, das zu leben ihr letzten Endes nicht vergönnt gewesen war.
»Der Golem hat meinen Großvater ermordet«, sagte Emily.
Alle Augen richteten sich auf das Mädchen.
Lycidas, der einmal Lucia del Fuego gewesen war, sagte: »Zuallererst mordete der Golem Händler und Tunnelstreicher, die im Dienste Manderley Manors standen. Erst später, als die Metropolitan ihm auf der Spur war, plante Lord Mushroom die Ermordung seines politischen Gegners im Senat.«
Maurice Micklewhite atmete schwer.
Er dachte an die Vergangenheit seiner Familie.
Daran, dass er Recht behalten hatte. Daran, dass man ihn mundtot gemacht und ihn seiner Zukunft als Sohn eines wohlhabenden elfischen Hauses beraubt hatte. Dabei hatte er Recht behalten. Lord Mushroom war der Mörder von Nicodemus Manderley gewesen. Die Whitechapel-Aufstände hatten ihre Berechtigung gehabt. Und Mylady Manderley hatte Mushroom Manor nicht ohne Grund des Verrats bezichtigt.
»Sind Sie sich sicher, dass Steerforth der Nocnitsa ist?«, fragte Emily.
»Der Nocnitsa war der Golemhüter«, gab Lycidas zur Antwort, »und als solcher bei allen Morden der Kreatur zugegen. Hat von ihrem Leid und ihrer Verzweiflung getrunken.« Er hielt inne, legte den Kopf schief. Hätte Emily diese Bewegung sehen können, wäre sie unweigerlich an die Engel erinnert worden. »Das hat ihm seine Jugend zurückgegeben.
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