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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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anstarren.« Zögerlich hatte sie den hellen Stein in ihrer Augenhöhle berührt. »Aber das bin nun einmal ich.« Trotzig hatten diese Worte geklungen.
    »Eines Tages«, hatte ich ihr geantwortet, »werden Sie jemandem begegnen, der Sie gerade wegen Ihres Mondsteinauges lieben wird.«
    Ein Achselzucken erntete ich.
    Nichts weiter.
    Ihr linkes Auge hatte Emily Laing im »Dombey & Son«, einem berüchtigten Waisenhaus drüben in Rotherhithe, verloren. Ein zu weites Ausholen mit dem Rohrstock hatte ihr Leben verändert. Versehentlich hatte der Rohrstock ihr Gesicht getroffen und die Welt des sechsjährigen Mädchens in einer Wolke aus Schmerz und Blut versinken lassen. Lange Zeit hatte sie ein gläsernes Auge getragen, das dann später durch einen glatt geschliffenen Mondstein ersetzt worden war.
    »Der Mondstein«, pflegte sie zu sagen, »ist jetzt mein Auge.«
    Emily mochte den Mondstein.
    Was sie nicht mochte, waren die Blicke, die sie in den Straßen streiften.
    »Lusus Naturae«, hatte ihr ein Mitschüler einmal hinterhergerufen.
    Eine Tändelei der Natur. Eine Abartigkeit.
    »Warum schaust du uns so an?«
    »Spionierst in unseren Köpfen herum, was?«
    »Bastard.«
    »Rattenfreundin.«
    Die anderen Kinder in der Schule neigten dazu, sie auf ihre Andersartigkeit hinzuweisen.
    Auch im Waisenhaus des Reverend Dombey hatte man sie oft beschimpft. Als Missgeburt. Freak. Schlimmeres. Eine Ewigkeit schien das nun her zu sein, doch schreckte sie in den von Stürmen durchtosten Nächten noch immer oft auf, weil sie von Rotherhithe geträumt hatte.
    »Letzte Nacht«, vertraute sie dann am nächsten Morgen ihrer Freundin an, »bin ich wieder dort gewesen.«
    Aurora Fitzrovia, die für Emily wie eine Schwester war, wusste um die Schatten, die des Nachts in die Träume der Kinder gekrochen kamen und ihnen vorgaukelten, noch immer in dem Elend des ehemaligen Lagerhauses, das von einem bösartigen Reverend geleitet worden war, gefangen zu sein.
    Beide Mädchen hatten gemeinsam die Jahre im Waisenhaus von Rotherhithe durchlitten und besuchten nun die strenge Whitehall Privatschule für höhere Söhne und Töchter, die von Miss Monflathers geleitet wurde.
    »Whitehall und Rotherhithe sind sich gar nicht so unähnlich«, pflegte Emily zu sagen. Traurig. Ohne Illusionen.
    »Aber hier meint man es doch gut mit uns«, antwortete ihre Freundin dann.
    »Du hast gut reden.«
    Im Gegensatz zu Emily war es Aurora niemals schwer gefallen, sich den Regeln der Schule anzupassen. Während Aurora Fitzrovia von vielen der Schüler freundlich gegrüßt wurde und sich allgemeiner Beliebtheit erfreute, bewegte Emily sich wie ein Schatten durch die langen Korridore der Schule. In ihrer dunklen Kleidung erntete sie abfällige Blicke zuhauf.
    Die hartnäckige Weigerung, die Schuluniform zu tragen, bescherte mir zudem regelmäßige Vorladungen bei der Schulleitung, die aber allesamt ergebnislos blieben.
    »Emily Laing«, informierte mich Miss Monflathers an einem Morgen Anfang Dezember, »ist eine starrköpfige junge Dame. Zweifelsohne ist sie intelligent zu nennen.«Über den Rand ihrer Lesebrille funkelte mich die grauhaarige Eminenz der Lehranstalt an, als hätte ich selbst etwas verbrochen. »Doch ist sie auch klug?« Sie wartete die Antwort nicht einmal ab, und ich bekam zu hören, dass Emily mit nur wenigen ihrer Mitschüler Kontakt pflegte. Dass allein Aurora Fitzrovia ihre Vertraute war. »Sie ist eine Außenseiterin geworden.« Hatten wir zu Beginn ihrer Zeit in der alten Lehranstalt noch angenommen, diese Zurückgezogenheit wäre nur von kurzer Dauer, bis sich das Kind an sein neues Umfeld gewöhnt habe, so wurden wir bald schon eines Besseren belehrt. »Sie ist trotzig und aufsässig und hinterfragt allzeit die Anweisungen der Lehrkräfte.«
    »Bei mir ist sie folgsam«, verteidigte ich sie.
    »Du bist ihr Mentor, Mortimer. Sie respektiert dich.«
    Tat sie das?
    Miss Monflathers jedenfalls dachte nicht daran, das Verhalten der jungen Dame zu entschuldigen. »Wir haben feste Regeln an dieser Lehranstalt«, schalt sie Emily in meinem Beisein. »Wenn Sie der Meinung sind, diese nicht befolgen zu müssen, weil sie Ihnen unsinnig erscheinen, dann steht es Ihnen frei, zu gehen.« Miss Monflathers konnte ihrem Gegenüber schon früher das Gefühl vermitteln, schuldig zu sein. »Niemand hält Sie hier fest, Miss Laing.« Schweigend saßen wir auf schmalen Stühlen dem Schreibtisch der Direktorin gegenüber. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr

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