Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Mentor erfreut ist, wenn er mir einmal im Monat einen Besuch abstatten muss, um über das Fehlverhalten seiner Schutzbefohlenen in Kenntnis gesetzt zu werden.« Miss Monflathers’ raubtierhaft funkelnde Augen fixierten das Mädchen, das mit gesenktem Blick dasaß und sich in Schweigen übte.
Dann musterte sie mich, wie sie es schon zu der Zeit getan hatte, als ich noch ihr Schüler gewesen war. Damals, in Salem House.
Als Miss Monflathers keinerlei Regung in meinem Gesicht erkannte, wandte sie sich erneut dem Mädchen zu. »Nun, Miss Laing, was gedenken Sie mir in dieser Angelegenheit zu antworten?«
Kaum hörbar murmelte sie: »Ich werde mich bessern.«
»Herrje, sind Sie eine Maus? Sprechen Sie doch klar und deutlich!«
Das Mädchen hob den Blick.
Trotzig.
»Ich werde mich bessern«, gelobte Emily.
Lauter nunmehr.
Und deutlicher.
Eindeutig nicht wie eine Maus.
»Das klingt nicht sehr überzeugend in meinen Ohren.«
»Miss Laing wird ihr Verhalten überdenken«, schaltete ich mich ein. »Sie haben mein Wort.«
Emily schwieg.
Miss Monflathers wirkte wenig angetan. »Ich kann mich erinnern«, stellte sie nur nüchtern fest, »dass einer meiner ehemaligen Schüler in Salem House eine ähnliche Halsstarrigkeit an den Tag gelegt hat.«
Emily sah mich neugierig an.
Ohne meine Schutzbefohlene zu beachten, antwortete ich meiner ehemaligen Lehrerin: »Woran sich besagter Schüler ebenfalls erinnert.« Dann erhob ich mich von meinem Platz. »Ich denke, dass für heute alles gesagt worden ist.« Es war an der Zeit, dieses Gespräch, das in ähnlichen Variationen bereits mehrere Male stattgefunden hatte, zu beenden. Ich bedeutete dem Mädchen, sich zu erheben. »Noch eine Bitte.« Miss Monflathers trommelte leise, doch unmissverständlich ungeduldig mit ihren Fingern auf den Schreibtisch. »Es wäre mir sehr genehm«, fuhr ich in meinem Anliegen fort, »wenn Sie Miss Laing für heute Nachmittag von ihren schulischen Pflichten entbinden könnten, da ich sie zu Zwecken der Maßregelung gern mit nach Marylebone nehmen würde.« Emily stand neben mir, in ihren schwarzen Jeans und dem grauen Rollkragenpullover, mit dem sie seit Anbeginn des Winters untrennbar verbunden zu sein schien. »Ich danke Ihnen für das Entgegenkommen, Miss Monflathers«, verabschiedete ich mich, ohne die Direktorin noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Emily zugewandt merkte ich nur an: »Folgen Siemir!« Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und verließ, meine der Situation angemessen schuldig dreinschauende Schutzbefohlene im Schlepptau, das Büro der Direktorin.
Emily trottete neben mir her, wobei ihre Stiefel ein lautes Echo in den langen Korridoren der Schule hervorriefen. Sie hatte sich einen Mantel übergezogen und die Hände tief in den Taschen vergraben.
»Ich darf Sie also zu Zwecken der Maßregelung nach Hause begleiten?«
Das Lächeln verkniff ich mir. »Oh, fragen Sie nicht.«
»Und Aurora behauptet, Sie hätten keinen Humor.«
Dieses Kind!
»Dessen eingedenk muss ich anmerken, dass Sie eine Fähigkeit entwickeln, sich in Schwierigkeiten zu bringen, die mir, das muss ich zugeben, nicht gänzlich fremd ist.«
»Es tut mir Leid.«
»Tut es nicht«, widersprach ich ihr.
»Warum sagen Sie das?«
»Weil es nun einmal die Wahrheit ist.« Ich blieb stehen und warf einen Blick nach draußen, wo ein kalter Regen gegen die hohen Fenster prasselte. »Denn mir hat es damals auch nicht Leid getan.« Ich seufzte lang gezogen. »Wie formulierte es Miss Monflathers doch so treffend? Ein starrköpfiges junges Ding? Nun ja, Miss Emily. In dieser Hinsicht liegt es mir fern, Ihrer Lehrerin zu widersprechen.« In den Gängen der altehrwürdigen Schule über meine Vergangenheit zu reden, widerstrebte mir. Eine Andeutung sollte genügen: »Die Förderung der individuellen Fähigkeiten der Schüler dient zuweilen Zwecken, die auch mir damals nicht gefielen.«
»Es ist einfach nicht richtig, was man von uns erwartet.«
»So ist das eben.«
Natürlich hatte ich gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Diese unliebsame Entscheidung, die zu treffen mir damals meine Pflegemutter geholfen hatte. Mylady Hampstead, die während der Ereignisse, die meine Träume bis heute heimsuchen, den Tod gefunden hatte.
»Wofür auch immer Sie Sich entscheiden werden«, versprach ich ihr, »Sie können Sich meiner Unterstützung allzeit gewiss sein.«
Emily schwieg.
Fühlte sich allein.
Trotz aller Fürsorge, die ihr zuteil wurde.
Das war es, was ich
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