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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Vorabend abgeführt worden war. Es ist wohl nur gerecht, wenn ich sage, daß ich nicht sosehr vor den Matrosen davonrannte, sondern vor den Gesichtern der andern, die ich im Saal gesehen hatte.
    Jedenfalls war auch die Stiege weg. Ich fand lediglich einen Boden aus glatten Platten vor, wovon sich zweifelsohne eine durch einen geheimen Mechanismus heben ließ.
    Nun setzte sich ein anderer Mechanismus in Gang. Schnell und zügig versenkte sich Tzadkiels Thron, wie ein Wal wieder ins Packeis der Südmeere taucht. Noch stand der wuchtige Sitzstein unverrückbar wie eine Mauer zwischen mir und dem Saal; aber im nächsten Moment schob sich der Boden darüber zu und entbrannte vor mir eine phantastische Schlacht.
    Der Hierarch, den Tzadkiel seinen Sohn genannt hatte, lag niedergestreckt im Mittelgang. Über ihn hinweg stürmten mit blitzenden, meist blutverschmierten Dolchen die Matrosen an. Ihnen widersetzten sich knapp zwei Dutzend Gestalten, die zunächst schwach wie Kinder wirkten – und in der Tat sah ich wenigstens ein Kind darunter –, aber heldenhaft die Stellung hielten und schließlich, als sie keine Waffen mehr hatten, mit blanken Händen kämpften. Weil sie mir den Rücken zukehrten, so redete ich mir ein, erkannte ich sie nicht; aber ich wußte, das war gelogen.
    Mit Gebrüll, das von den Wänden widerhallte, brach der Alzabo aus den Umzingelten hervor. Die Matrosen fielen zurück, und im nächsten Moment zermalmte er einen Mann mit seinen Kiefern. Ich sah Agia mit ihrem vergifteten Schwert und auch Agilus, der eine blutrote Averne wie einen Streitkolben schwang, und Baldanders, der unbewaffnet war, bis er eine Matrosin schnappte und einen andern damit zu Boden knüppelte.
    Und Dorcas, Morwenna, Cyriaca und Casdoe. Thecla, bereits niedergestreckt; die Blutung am Hals stillte ein Lumpen auf dem Leib tragender Lehrling. Guasacht und Erblon hieben um sich, als säßen sie im Sattel. Daria schwang einen Säbel in jeder Hand. Irgendwie wieder in Ketten, erdrosselte Pia einen Seemann mit der Kette.
    Ich stürzte an Merryn vorbei und fand mich zwischen Gunnie und Dr. Talos wieder, dessen blitzende Klinge einen Mann traf, der mir vor die Füße fiel. Ein grimmiger Matrose griff mich an, und ich – das schwöre ich – erwartete ihn froh ob seiner Waffe, packte ihn am Handgelenk, brach ihm den Arm und entwand ihm das Messer, alles mit einer Bewegung. Dies mit einer Leichtigkeit, die mich verwunderte, doch blieb mir keine Zeit zum Staunen; schon bohrte ihm Gunnie das Messer in den Hals.
    Kaum hatte ich mich in den Kampf geworfen, schien dieser vorbei. Einige Matrosen flohen aus dem Saal; zwanzig bis dreißig Tote lagen auf dem Boden oder den Bänken. Die meisten Frauen waren tot, obwohl ich eine ihre blutenden Fingerstummel lecken sah. Der alte Winnoc lehnte müde auf einem Krummsäbel, wie er von den Sklaven der Pelerinen getragen wurde. Dr. Talos zerschnitt den Mantel eines Toten, um die Klinge seines Gehstockschwerts zu säubern, und ich sah, daß der Tote Meister Ash war.
    »Wer sind die?« fragte Gunnie.
    Ich schüttelte den Kopf, denn ich wußte es selbst nicht recht. Dr. Talos ergriff ihre Hand und berührte sie flüchtig mit den Lippen. »Gestatten, ich bin Dr. Talos, Arzt, Dramatiker und Impresario. Ich bin …« Ich hörte nicht länger zu. Triskele kam mit blutigen Läufen angetrabt, wedelte vor Freude mit dem Schwanz. Meister Malrubius im pelzverbrämten Zunftmantel kam hintendrein. Als ich Meister Malrubius sah, wußte ich es, was auch er, als er mich sah, wußte.
    Sogleich zerfiel er – und mit ihm Triskele, Dr. Talos, der tote Meister Ash, Dorcas und die andern – in silbernen Staub, in nichts, wie er sich damals nachts am Strand aufgelöst hatte, nachdem er mich aus dem sterbenden Dschungel des Nordens befreit hatte. Gunnie und ich blieben allein zurück bei den toten Matrosen.
    Nicht alle waren tot. Einer rührte sich stöhnend. Wir versuchten, die Wunden an der Brust (sie stammten vermutlich von der schmalen Klinge des Doktors) mit Fetzen zu verbinden, die wir von den Toten abrissen, obgleich auch aus dem Mund Blut quoll. Nach einer Weile kamen die Hierarchen mit Arzneien und richtigem Verbandszeug und trugen ihn fort.
    Mit ihnen war die Dame Apheta gekommen, die nun bei uns blieb.
    »Du hast gesagt, ich sähe dich nicht wieder«, gemahnte ich sie.
    »Ich sprach von vielleicht«, korrigierte sie mich. »Wäre die Sache hier anders ausgegangen, hättest du mich nicht wiedergesehn.«
    In der Stille

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