Die Urth der Neuen Sonne
dachtest, ich hätte dich begehrt. Erst jetzt bist du mir soweit sympathisch, daß ich dir sagen kann, ich begehre dich nicht. Du bist ein Held, Autarch, und Helden sind immer Monster, die uns eröffnen, was wir lieber nicht hören wollten. Und du bist ein besonders monströses Monster. Sag mir, hast du, als du durch den runden Gang um den Vernehmungssaal gegangen bist, die Bilder dort betrachtet?«
»Nur ein paar«, antwortete ich. »Da war die Zelle, in der Agia gesessen hatte, und ein, zwei andere Bilder.«
»Und wie, meinst du, kamen die dorthin?«
Auch ich nahm ein Stück Gebäck und einen Schluck aus der Tasse, die mir am nächsten stand. »Keine Ahnung, Frau. Ich habe hier so viele Wunder gesehen, daß mich nichts mehr wundert, von Thecla einmal abgesehen.«
»Aber du konntest nicht viel nach ihr – Thecla – fragen gestern abend aus Furcht davor, was ich sagen oder tun würde. Obwohl du hundertmal bereit warst.«
»Wäre ich dir sympathischer geworden, Frau, wenn ich dich nach einer alten Liebe gefragt hätte, während ich bei dir lag? Ihr seid eine wahrlich seltsame Rasse. Aber erzähl mir, wenn du sie schon erwähnt hast, von ihr.« Ein Tropfen der weißen Flüssigkeit, die ich hinuntergeschluckt hatte, ohne etwas zu schmecken, lief über den Rand der Tasse. Ich schaute mich um nach etwas, womit ich ihn abtupfen könnte, fand aber nichts.
»Deine Hände zittern.«
»Und wie, Frau.« Ich stellte die Tasse klappernd aufs Tablett zurück.
»Hast du sie sosehr geliebt?«
»Ja, Frau, und auch gehaßt. Ich bin Thecla und ich bin der Mann, der Thecla geliebt hat.«
»Dann werde ich dir nichts über sie erzählen – was könnte ich dir schon sagen? Vielleicht wird sie es dir selbst sagen nach der Präsentation.«
»Falls ich es schaffe, meinst du.«
»Würde deine Thecla dich bestrafen im Falle eines Scheiterns?« fragte Apheta, und mir hüpfte das Herz vor Freude. »Aber iß, wir müssen dann gehen. Ich sagte dir schon gestern abend, daß unsere Tage hier kurz sind, und du hast bereits die erste Hälfte des heutigen Tages verschlafen.«
Ich schlang den Kuchen hinunter und leerte die Tasse. »Was wird aus der Urth«, fragte ich, »im Falle meines Scheiterns?«
Sie erhob sich. »Tzadkiel ist gerecht. Er würde nicht wollen, daß die Urth schlimmer dran wäre, als sie ist, als sie wäre, wenn du nicht gekommen wärst.«
»Das heißt, die Eiszeit kommt«, meinte ich. »Aber wenn ich es schaffe, kommt die Neue Sonne.« Als hätte ich einen berauschenden Trunk zu mir genommen, schien ich unendlich weit neben mir zu stehen, mich zu beobachten, wie jemand ein Stäubchen beobachtet, meine Stimme zu hören, wie ein Falke das Piepsen einer Feldmaus hört.
Alpheta hatte den Vorhang aufgeschoben. Ich folgte ihr hinaus in die Stoa. Im offenen Torbogen erstrahlte das frische Meer von Yesod, ein weiß gesprenkelter Saphir. »Ja«, sagte sie. »Und eure Urth wird zerstört.«
»Frau …«
»Genug. Komm mit!«
»Purn hatte also recht. Er wollte mich umbringen, und ich hätte ihn nicht daran hindern sollen.« Die Straße, auf der wir gingen, war steiler als diejenige, über die wir am Vorabend gekommen waren, und führte schnurstracks den Hang hinauf zum Justizpalast, der wie eine finstere Wolke über uns aufragte.
»Nicht du warst’s, der ihn gehindert hat«, bemerkte Apheta.
»Vorher, auf dem Schiff, Frau. Dann ist’s er also gewesen gestern abend im Dunkeln. Dann hat ihn also jemand aufgehalten, oder ich wäre gestorben. Ich hätte mich nicht selbst befreien können.«
»Tzadkiel«, sagte sie.
Obwohl ich die längeren Beine hatte, mußte ich mich sputen, um mit ihr Schritt zu halten. »Du hast gesagt, er sei nicht da, Frau.«
»Nein. Ich habe gesagt, er sitze heute nicht zu Gericht. Sieh dich um, Autarch!« Sie hielt inne, und auch ich blieb stehen. »Ist das nicht eine schöne Stadt?«
»Die schönste, die ich je gesehen habe, Frau. Bestimmt hundertmal schöner als jede Stadt auf Urth.«
»Präg sie dir ein; du siehst sie vielleicht nicht wieder. Eure Welt könnte so schön wie diese sein, wenn ihr alle es wünschtet.«
Wir stiegen hinauf zum Eingang des Justizpalastes. Ich hatte mit großem Gedränge und Geschiebe gerechnet, wie wir es von unseren öffentlichen Prozessen kennen, aber der Berg war in morgendliche Stille gehüllt.
Apheta wandte sich abermals um und deutete zur See. »Schau«, sagte sie abermals. »Kannst du die Inseln sehen?«
Ich konnte sie sehen. Eine schier endlose Zahl weit
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