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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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vom Himmel gefallen, ausgesät von der Hand des Gottes aller Götter.«
    »Ohne das Feuer zu kennen und sonst was«, sagte ich und mußte dabei daran denken, was der junge Offizier gemeldet hatte: Hierodulen hätten auf dem Gelände des Hauses Absolut einen Mann und eine Frau gelandet. Mit dieser Erkenntnis fiel es mir nicht mehr schwer, die Vorfahren meines Priesters zu erahnen: die Matrosen, die von meinen Erinnerungen geschlagen worden waren, büßten für die Niederlage mit ihrer Vergangenheit, genau wie ich die Zukunft meiner Nachkommen verloren hätte, wäre meine Vergangenheit besiegt worden.
    Es war nicht mehr weit zum Dorf. Ein paar Boote lagen am Strand, die nicht besonders stabil wirkten und größtenteils aus blankem grauen Treibholz, wie es mir vorkam, gebaut waren. Am Ufer stand knapp über der Hochwassermarke ein Rechteck aus Hütten mit vier schnurgeraden Seiten; dies verriet Ordnungsliebe um der Ordnung willen, wie sie bezeichnend für einen hohen Hofbeamten wäre. Auch hinter den klapprigen Booten, so überlegte ich, mochte sein Geist stecken; immerhin war er der Erbauer unsres Floßes gewesen.
    Zwei Frauen und eine Kinderschar strömten vom Platz heran, um uns zu bestaunen, und ein Mann, der mit einem Holzhammer dürres Gras in die Ritzen eines Bootes klopfte, legte das Werkzeug aus der Hand. Mein Priester, der einen halben Schritt hinter mir ging, nickte in meine Richtung und gab ein Zeichen, das ich gar nicht sah, so schnell geschah es. Die Dorfbewohner sanken auf die Knie.
    Von meinem oftmals zwangsläufig kultivierten Sinn fürs Theatralische geleitet, erhob ich die Arme, breitete die Hände aus und segnete sie mit den Worten, sie sollten gut zueinander sein und nach Glück streben, was an sich der einzige Segen ist, den wir Gottartigen spenden können, obwohl der Increatus sicherlich nicht mehr an Segen geben kann.
    Nach zehn Schritten hatten wir das Dorf hinter uns, wo der Bootsbauer, wie zu hören war, den Hammer wieder schwang und die Kinder wieder zu spielen oder zu weinen anfingen. Ich fragte, wie weit es noch bis zu Odilos Bleibe wäre.
    »Nicht mehr weit«, antwortete mein Priester und deutete.
    Wir wanderten nun landeinwärts und erklommen einen grasbedeckten Hügel. Von oben sah man auf die Kuppe des nächsten Hügels, auf dem nebeneinander drei Häuschen standen, die wie das meine mit Kränzen aus Lupinen, Blutweiderich und Margeriten geschmückt waren.
    »Da«, sagte mein Priester. »Da schlafen die andern Götter.«
     

 
Anhang
     
Das Wunder des Apu-Punchau
     
    Kein Wunder überzeugt den Unbedarften mehr als der Eingriff in die vermutlich unabänderlichen Himmelsabläufe. Der weniger Leichtgläubige hingegen wird sich fragen, auf welche Weise Severians wunderbare Verlängerung der Nacht zu bewerkstelligen wäre ohne die verheerenden Umwälzungen, wie sie die Ankunft der Neuen Sonne begleitet haben.
    Wenigstens zwei plausible Erklärungen ließen sich aufstellen. Massenhypnose wird von Historikern für alle vielfach beschworenen Wunder bemüht, die sich nicht anderweitig entkräften lassen. Allerdings erbietet sich kein echter Hypnotiseur, dergleichen zu bewerkstelligen.
    Wenn Massenhypnose ausscheidet, so bleibt als wohl einzige Alternative eine Finsternis im weitesten Sinne – daß nämlich ein lichtundurchlässiger Körper zwischen die Alte Sonne und Urth tritt.
    In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die Sterne, die sich am Nachthimmel der Republik im Winter zeigen, über der steinernen Stadt im Frühling aufgehen (was vermutlich auf das Vorrücken der Tagundnachtgleichen zurückzuführen wäre), Severian aber während der Verlängerung der Nacht seine gewohnten Frühlingssterne sieht. Dies spricht wohl zu Gunsten der zweiten Erklärung ebenso wie das unmittelbare Sichtbarwerden der bereits über den Dächern stehenden Alten Sonne nach der Kapitulation der Autochthonen. Severian läßt mit keinem Wort erkennen, worum es sich bei dem undurchsichtigen Körper handele; dem nachdenklichen Leser indes wird es ein leichtes sein, wenigstens eine plausible Erklärung zu finden.
     
     

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