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Die Urth der Neuen Sonne

Die Urth der Neuen Sonne

Titel: Die Urth der Neuen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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dieser Totenkammer war ihre Stimme nicht mehr als ein Hauchen.
     

 
Abstieg
     
    Du wirst viele Fragen haben«, flüsterte Apheta. »Gehen wir hinaus in den Säulengang, und ich will sie dir alle beantworten.«
    Ich schüttelte den Kopf, denn ich hörte die Wassermusik des Regens durchs offene Portal.
    Gunnie tippte mich auf den Arm. »Werden wir bespitzelt?«
    »Nein«, erklärte Alpheta ihr. »Aber gehen wir hinaus. Es wird schön sein draußen, und es bleibt uns dreien nur mehr wenig Zeit.«
    »Ich verstehe dich durchaus«, meinte ich, »aber ich bleibe hier. Vielleicht fängt noch jemand zu stöhnen an unter den vielen Toten. Das wäre eine passende Stimme für dich.«
    Sie nickte. »In der Tat.« Ich hatte mich niedergelassen, wo Tzadkiel am Vortag hockte; nun setzte sie sich neben mich, damit ich sie wohl besser hörte.
    Sogleich setzte sich auch Gunnie und steckte das Messer in die Scheide, nachdem sie die Schneide am Oberschenkel abgeputzt hatte. »Tut mir leid«, sagte sie.
    »Was tut dir leid? Daß du auf meiner Seite gekämpft hast? Das nehme ich dir nicht übel.«
    »Daß die andern nicht für dich gekämpft haben, das tut mir leid; daß die Zaubergestalten dich gegen uns verteidigen mußten. Gegen alle von uns außer mir. Was waren das für Gestalten? Hast du sie gerufen?«
    »Nein«, sagte ich. Apheta: »Ja.«
    »Das waren Leute, die ich kannte, das ist alles. Teils Frauen, die ich liebte. Viele sind gestorben – Thecla, Agilus, Casdoe … Vielleicht sind mittlerweile alle tot, alle Geister, was ich nicht weiß.«
    »Sie sind ungeboren. Sicherlich weißt du, daß die Zeit rückwärts läuft, wenn das Schiff schnelle Fahrt macht. Das habe ich dir selber gesagt. Sie sind ungeboren genau wie du.«
    Sie wandte sich an Gunnie. »Ich sagte, er habe sie gerufen, weil wir sie seinem Gedächtnis entnahmen, wobei wir solche suchten, die ihn haßten oder zumindest Grund dazu hatten. Der Riese, den du gesehen hast, hätte das ganze Land beherrscht, wenn Severian ihn nicht bezwungen hätte. Die Blonde konnte ihm nicht verzeihen, daß er sie von den Toten zurückgeholt hatte.«
    Ich sagte: »Ich kann dir nicht verbieten, davon zu sprechen, aber tu’s woanders. Oder laß mich gehen, damit ich es nicht anhören muß.«
    Apheta fragte: »Hat es dir keine Freude gemacht?«
    »Daß ich sie alle wiedersehe und sie dermaßen unter Einfluß stehen, daß sie mich verteidigen? Nein, warum auch?«
    »Sie standen nicht unter Einfluß, ebensowenig wie Meister Malrubius bei seinen Erscheinungen nach dem Tod. Wir fanden sie in deinem Gedächtnis und ließen sie urteilen. Jeder in diesem Saal außer dir sah das gleiche. Ist dir nicht aufgefallen, daß ich hier kaum sprechen kann?«
    Ich sah sie an, als hätte ich mich abgewandt, um mich ihr zu widmen, sobald sie wieder über etwas anderes spräche.
    »Unsre Räume sind unentwegt vom lauschigen Spiel des Wassers und vom Ächzen des Windes erfüllt. Dieser Saal wurde eigens für dich und die Deinen errichtet.«
    Gunnie sagte: »Bevor du hereingekommen bist, hat er – Zak – uns gezeigt, daß die Urth zwei Zukünfte hat. Sie kann sterben und neu geboren werden, oder sie kann noch lange so weiterleben, bis sie endgültig stirbt.«
    »Das wußte ich schon als kleiner Junge.«
    Sie nickte, und einen Moment lang glaubte ich, das Kind, das sie war, zu sehen anstatt der Frau, die sie geworden war. »Aber wir wissen es nicht, wußten es nicht.« Ihr Blick löste sich von meinem Gesicht und wanderte von Leichnam zu Leichnam. »In der Religion, ja, aber darum scheren sich Matrosen nicht viel.«
    Weil mir nichts Bessres einfiel, meinte ich nur: »Nicht viel.«
    »Im Gegensatz zu meiner Mutter, aber die hatte eine Schraube locker, die war nicht ganz dicht, wenn du verstehst. Und mehr war wohl nicht dahinter.«
    Ich wandte mich an Apheta mit der Frage: »Ich wüßte gern …«
    Aber Gunnie packte mich mit der Hand, die groß und stark war für eine Frau, an der Schulter und drehte mich zu sich. »Wir haben geglaubt, es wäre noch lange hin, es wäre erst lange nach unserm Tod so weit.«
    Apheta hauchte: »Wer an Bord anheuert, der weiß, daß die Fahrt vom Anfang bis zum Ende geht. Alle Seeleute wissen das.«
    »Haben wir vergessen. Haben wir vergessen, bis wir daran erinnert worden sind. Er hat uns erinnert. Zak.«
    Ich fragte: »Und du wußtest, daß es Zak war?«
    Gunnie nickte. »Ich war dabei, als er gefangen wurde. Sonst hätte ich es wohl auch nicht gewußt. Oder vielleicht doch. Er

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