Die Vagabundin
irgendwann fanden ihre Hände einander.
«Hast du dich jetzt eingewöhnt bei den Lindhorns?»
Josefina zuckte die Schultern. «Die Tochter ist ja ganz nett, ein bisserl affig vielleicht. Und der älteste Sohn ist ein geckenhafter Schnösel, wenn auch ein sehr fescher.» Sie lachte leise auf. «Na ja, und über die Verköstigung darf ich auch nicht klagen. Ich hab inzwischen sogar ein eigenes Bett, jede von uns dreien, auch wenn’s jetzt arg eng ist in unserer Kammer.»
«Und wer sind die andern zwei?» Eva wollte alles ganz genau wissen.
«Madlena, die Wäscherin – eine richtig blöde Kuh! Die ist so hinterhältig, die petzt alles an die Herrschaft weiter. Aberdafür ist Anna eine ganz Liebe. Sie ist die Spülmagd und noch jünger als du. Die war erst zehn, als sie aus dem Waldgebirg nach Passau kam.»
Sie hielt inne und beobachtete Niklas, der einen Nachbarbuben entdeckt hatte und jetzt mit ihm Ball spielte. Ihr Blick wirkte auf einmal traurig.
«Und was ist mit den Herrschaften? Sind die freundlich zu dir?»
«Nicht so recht. Beim Hausvater weiß ich nie, woran ich bin. Mal brüllt er mich an, weil ich nicht gleich seine Pantoffeln gefunden hab oder weil in seinem Bücherkabinett ein Buch verstellt ist. Dann wieder bietet er mir höchstselbst ein Stückerl Mandelkuchen an. Aber nur, wenn seine Frau nicht dabei ist. Die scheucht mich von früh bis spät rum, ohne Atempause, und sitzt selber nur den ganzen Tag fett und faul im Lehnstuhl. Und wenn ich nicht schnell genug bin, verpasst sie mir Kopfnüsse, die sich gewaschen haben.» Sie seufzte. «Irgendwie hab ich das von Anfang an geahnt.»
«Aber – warum hast du dann die erstbeste Stellung angenommen?»
«Weil ich rauswollt von daheim, darum!»
Die Antwort kam prompt und war voller Bitterkeit. Ganz plötzlich erinnerte sich Eva wieder daran, wie verschlossen, wie freudlos ihre Schwester in jenen ersten Wochen in Passau gewirkt hatte. Irgendwie war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen. Damals hatte Eva geglaubt, Josefina leide an Heimweh nach Glatz. Doch seitdem sie im Haus des Handels und Ratsherrn Lindhorn war, der sein Vermögen mit Passauer Stahl gemacht hatte, zeigte sie bald wieder das, was Eva so an ihr liebte und bewunderte: Willenskraft und Entschlossenheit zum einen, liebevolle Wärme gegenüber den Geschwistern zum anderen.
«Weg von uns?», flüsterte Eva deshalb jetzt fassungslos.
«Aber nein, du Dummerle.» Josefina nahm sie in die Arme. «Es ist eh blödes Zeug, was ich da fasle. Ich kann zufrieden sein, glaub mir. Alles in allem hab ich’s gut getroffen. Stell dir vor, ich hab sogar ein richtiges Kopfkissen, mit Daunenfedern gefüllt!»
Schweigend gingen sie weiter, bis Josefina irgendwann fragte: «Und du? Wie ist Vater zu dir, seit ich weg bin?»
«Wie meinst du das?»
«Behandelt er dich gut?»
«So wie immer – kennst ihn doch.»
«Und – wenn er besoffen heimkommt?»
Eva verstand nicht, worauf ihre Schwester hinauswollte. «Na ja, wenn er sehr wütend ist, dann schlägt er Niklas und mich auch schon mal. Und neulich war er seltsam – aber vielleicht hab ich das auch nur geträumt. Da gibt’s was viel Schlimmeres. Stell dir vor, ich soll jetzt als Taglöhnerin arbeiten, spinnen für einen Wollweber. Davor graust mir, das kann ich dir gar nicht sagen.»
Schon am nächsten Tag, am Montag in aller Früh, schleppte ein Knecht das Spinnrad, einen Weidenkorb und den in Sackleinen eingewickelten Ballen an. Kurz darauf erschien der Webermeister selbst, ein buckliger Mann. Er blieb unter dem windschiefen Türsturz stehen, nickte nur zur Begrüßung und belferte dann:
«Das fertige Garn bringst du mir pünktlich zum Abendläuten. Einen Korb voll täglich will ich sehen. Und Krankmachen gibt’s bei mir nicht. Alles Übrige hab ich mit deinem Vater besprochen, das geht dich nichts an. Bis heut Abend also. Ach ja – wenn’s heut ein bisschen weniger ist, seh ich drüber weg. Morgen aber dann will ich einen vollen Korb!»
Eva starrte abwechselnd auf den Packen mit den Wollwickeln, der unter ihrem Blick immer größer zu werden schien,und auf das Spinnrad. So oft schon hatte sie anderen beim Spinnen zugesehen, aber selbst drangesetzt hatte sie sich nie. Diese eintönige Arbeit war nicht ihre Sache, und um wie viel lieber hätte sie sich als Näherin verdingt, als Zuschneiderin für feine Weißwäsche oder selbst für Flickarbeiten. Darin war sie geschickt!
«Du kommst ganz nach deinem Vater», hatte ihr Oheim, der
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