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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Bruder ihres leiblichen Vaters, vor langer, langer Zeit immer gesagt, wenn sie ihm zur Hand gegangen war. Der hatte als Geselle bei einem Glatzer Damenschneider gearbeitet und ihr damals bereitwillig gezeigt, was sie wissen wollte.
    Aber es half ja alles nichts. Widerwillig öffnete sie den Sack, nahm einen ersten Flausch aus der gekämmten Wolle und steckte ihn auf den Rocken. Dann zog sie ihren Schemel heran und setzte sich. Eigentlich galt es nur mit dem Fuß den richtigen Takt zu finden, der mit dem Zusammenzwirbeln der Wollfasern zusammenpasste. Doch entweder drehte sich das Spinnrad zu schnell, sodass der Faden riss, oder ihre Finger stellten sich so ungelenk an, dass statt eines Fadens ein hässliches Knotengebilde herauskam. Damit brauchte sie dem Weber gar nicht erst zu kommen.
    «Tausendsapperment!», fluchte sie. «Niklas, wo steckst du? Lauf rasch zur Hoblerin, ob sie mir helfen kann.»
    Mit Unterstützung der alten Witwe surrte nur eine Stunde später das Spinnrad gleichmäßig vor sich hin, während Evas Hände zwischen Zeigefinger und Daumen den Faden zwirbelten.
    «Na siehst!» Die Hoblerin strich ihr übers Haar. «Bald wirst gar nicht mehr hinschauen müssen! Dann kannst dir sogar eine Freundin zum Schwatzen einladen.»
    Und seufzend fügte die alte Frau hinzu: «Nur jammerschad, dass du jetzt nicht mehr zu mir kommen kannst.»
    «Nein, nein, Gevatterin! Ich komme dann ganz einfach sonntags vorbei und an den vielen Feiertagen. Ganz gewiss!»
    «Bist ein braves Mädchen. Du hättest einen andern Vater verdient!»
     
    Die ersten Wochen ihres neuen Daseins als Spinnerin waren die ärgsten: Zäh wie Haferschleim zogen sich die Stunden in die Länge, das Abendläuten wollte und wollte nicht näherrücken, der Rücken schmerzte, die Finger, die sich schon ganz pelzig anfühlten, ohnehin, und nur mit Mühe bekam sie ihren Korb in letzter Minute halbwegs voll. Wie festgenagelt hockte sie von früh bis spät auf ihrem Schemel, in dieser dunklen, stickigen Stube, während draußen der Mai die Natur zum Schwellen und Blühen brachte. Manchmal schaffte sie es nicht mal, für sich und Niklas ein Mittagsmahl zu richten, und der einzige Gang an die frische Luft war, wenn sie zum Haus des Wollwebers hetzte.
    In den ersten Tagen war es Niklas gewesen, der den Korb mit dem Garn dorthin brachte. So hatte es der Vater befohlen: Damit sich Eva nur ja gleich ans Nachtessen machen könne. Aber wenigstens in diesem einen Punkt hatte sie sich durchsetzen können. Unter dem Vorwand, sie müsse schließlich wissen, ob der Meister etwas auszusetzen oder besondere Wünsche für den nächsten Tag habe, hatte sie sich ausbedungen, selbst zu gehen. Auch wenn der kurze Weg durch die frühlingshaft warmen Gassen nur einen winzigen Lichtblick in ihrem Alltagstrott darstellte – er wurde zum kostbarsten Augenblick des Tages.
    Wie konnte Josefina sich nur über ihre Stellung beklagen?, dachte sie immer wieder. Was boten sich ihrer Schwester nicht alles für Abwechslungen: der Gang auf den Markt, die täglichen Besorgungen für die Herrin, die Arbeit in einer großen, wohlhabenden Haushaltung mit prächtigen Möbeln, richtigem Geschirrund allen Gerätschaften, die einem die Arbeit leichter von der Hand gehen ließen. Dazu machte der junge Herr ihr auch noch nette Komplimente – so hatte es Josefina jedenfalls bei einem ihrer Sonntagsspaziergänge erzählt. Was hätte sie, Eva, allein für ein eigenes, richtiges Bett gegeben, oder für geregelte Mahlzeiten, mit Eiern und Speck nicht nur an hohen Festtagen! Nein, ihre Schwester schien ihr reichlich undankbar.
    Für sich selbst sah sie schwärzer denn je. Natürlich wusste sie, was von einer Frau gemeinhin erwartet wurde: Nicht rosenrote Lippen und langes Blondhaar waren wichtig, sondern häusliche Tugenden und Mitgift. Sämtliche jungen Frauen, die sie kannte, arbeiteten hart, um später einmal eine ansehnliche Summe in die Ehe mitbringen zu können. Kochen und Putzen, Flicken und Kinderhüten – all diese Fähigkeiten für ihr künftiges Amt als Hausmutter hatten Mädchen wie sie ohnehin von Kindesbeinen an gelernt. Nur – mussten ihre nächsten Jahre ausgerechnet als Spinnerin dahingehen? Hinzu kam, dass sie ihrem Stiefvater zutiefst misstraute. Womöglich würde sie von ihrem Verdienten keinen Heller sehen. Auch ihrer Schwester würde ihr voller Lohn erst bei Dienstende ausbezahlt werden, damit möglichst viel angespart war für eine künftige Ehe. Nur hielt bei ihr ein

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