Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig
Schulter.
Ich versuchte sie wegzuziehen. Ohne Erfolg.
Foote sagte: »Fumio wollte einen Bericht über Svetlana schreiben, und sie hat ihn fast aus dem Fenster geworfen.« Er stupste mich lachend mit dem Ellbogen an.
Nervensäge.
»Willst du nicht in die Schulzeitung, Svetlana?«, fragte Miss Larch und tat interessiert. »Sollen denn nicht alle wissen, wer du bist?«
Wer ich bin? Was wusste sie schon, wer ich war?
Ihre Nägel gruben sich für einen Moment bedrohlich in meine Schulter. Dann richtete sie sich auf und tätschelte mich. »Guten Appetit.« Sie griff sich einen Würfel Wassermelone aus meinem Plastikschälchen. »Du hast doch nichts dagegen, oder?« Sie hielt ihn sich an die roten Lippen. »Das esse ich mit am liebsten.«
Sie zwinkerte mir zu und ging. Etwas an ihren Bewegungen ließ mich an eine Katze denken - aber nicht an ein braves gestreiftes Haustier, sondern an eine schreitende Tigerin oder Löwin. Sie ging nicht durch die Kantine: Sie glitt viel mehr dahin. Ihr feuerwehrrotes Kleid umschmiegte sie wie eine zweite Haut, und ihre Hüften wiegten hin und her wie das Pendel einer Standuhr. Sie sah eher wie ein Filmstar aus, nicht wie eine Biolehrerin in der sechsten Klasse - auch wenn sie wirklich nach Gammelfleisch roch.
»Stinkt die immer so?«, fragte ich Foote.
»Wonach soll sie denn stinken?«
»Machst du Witze? Arbeitet deine Nase überhaupt? Die Frau riecht total gammelig und gehört zu den Eimern am Straßenrand.« Ich fand diese Bemerkung
ziemlich schlau, aber Foote sah mich völlig verständnislos an. »Du riechst es also nicht?«
»Was?«
Nicht zu glauben! Er hatte keinen Schimmer. So riesig Foote die Nase im basketballgroßen Kopf stand, so wenig litt er offensichtlich unter dem beißenden Aroma, das von Sylvia Larch ständig ausging. Ich sah sie durch die Tür in die Lehrerlounge verschwinden.
Ob Miss Larch wusste, dass ich ein Vampir war? Und ob sie selber einer war? Schlief sie unterm Bett und aß nur rote Sachen? Gestern hatte sie meine Gedanken durchleuchtet, darüber gelacht, dass ich Schokolade verschmähte, und mir ihre klebrigsüße Stimme ins Gehirn gekippt: Süße Svetlana, ich weiß, wer du bist. Sie hatte mich mit dem roten Apfel provoziert, indem sie ihn mir vor die Nase hielt. Was wusste sie?
Am Nachmittag im Biounterricht bot Miss Larch der Klasse keine Schokolade mehr an. Sie stank zum Himmel, noch mehr als gestern. Der Fäulnisgeruch war nun sogar schlimmer als in der Kantine. Im Unterricht ging es um Verwesung, um den Zerfall von Gewebe, und das passte gut. »Die Verwesung«, sagte sie, »beginnt im Moment des Todes.«
Sie liebte dieses Thema eindeutig, redete viel über Fliegen und Würmer und lächelte ständig dazu. Als
die Schlussglocke läutete, rafften alle ihre Sachen zusammen und stürmten auf den Flur.
Ich nahm meine Bücher und ging zum Lehrertisch, als mein letzter Mitschüler die Tür hinter sich zufallen ließ. Miss Larch sah mich mit ihren grün glitzernden Augen amüsiert an, und ich fragte mich, ob es das war, was eine Maus sah, wenn ihr eine Katze begegnete.
»Miss Larch?«
Sie verschränkte ihre schlanken Finger unter dem Kinn. »Ja, Svetlana?« Die Winkel ihres rot geschminkten Mundes zuckten aufwärts.
Ich konzentrierte mich, sagte im Geiste: Können Sie mich hören? und sandte ihr meine Frage in den Kopf.
Ihre Augen weiteten sich leicht belustigt. »Natürlich«, gab sie zurück.
Mir war klar, dass es wirklich geschah, und doch konnte ich es irgendwie nicht glauben. Ich stand wie festgewurzelt vor ihrem Tisch.
Sie lachte.
Hatte ich wirklich gedacht, ich hätte mir gestern ihre Worte in meinem Kopf nur eingebildet? War das wirklich möglich? Sind Sie... wie ich?, stieß ich hervor, ohne nachzudenken, und merkte plötzlich, dass ich vor Erwartung zitterte und auf die Antwort ungemein gespannt war.
»Wie du?« Sie bekam eine fragende Miene und
tippte sich mit einem rot lackierten Fingernagel an die Lippen. Ihre grünen Augen funkelten belustigt. »Und was... bist du, Svetlana?«
»Ein... Vampir?«, flüsterte ich.
Einen Moment lang war ihr Gesicht ausdruckslos, doch dann verzog es sich zu einem leisen Kichern. Ich wartete ab, bis sie aufhörte, doch das tat sie nicht. Sie lachte weiter, hielt sich die Hand vor den Mund und gickelte durch die Finger. Sie begann, mit der flachen Hand auf ihren Tisch zu schlagen, und bald wurde ihr Kichern lauter und zu offenem Gelächter. Sie schlang sich die Arme um den Bauch und lachte und
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