Die Verbannung
jener warf ihm aus tiefen verschmitzten Augen einen aufmunternden Blick zu. Stefano wandte die Augen ab und nahm die Zigarette aus dem Mund.
»Nun, ich möchte keine Messerstechereien«, sagte er langsam mit einer höflichen Handbewegung. »Aber die schönste war nicht da. Es gibt hier eine wirkliche Schönheit, und die war nicht da …«
Er wollte nicht reden und und redete doch. Die Erre-
gung der anderen verlieh ihm eine Wichtigkeit, die ihn zum Reden veranlaßte. Er fühlte, wie er mit ihnen eins wurde, ebenso töricht war wie sie. Er lächelte. »Sie war nicht da …« »Aber wen meinen Sie denn?«
»Ich weiß nicht. Offen gesagt, glaube ich, sie ist eine Magd. Hübsch wie eine Ziege. Halb Ziege, halb Standbild.«
Unter dem Kreuzfeuer der Fragen verstummte er. Sie versuchten es mit Namen. Er antwortete, daß er ihren Namen nicht kannte. Aber aus ihren Beschreibungen entnahm er, daß sie Concia hieß. Wenn sie es war, sagten sie ihm, kam sie aus den Bergen und war wirklich eine Ziege, eine Ziege für alle Böcke. Aber schön fanden sie sie nicht.
»Wenn sie richtig wie Frauen aussehen, gefallen sie Ihnen also nicht?« fragte Vincenzo, und alle begannen zu lachen.
»Aber Concia war bei dem Fest«, sagte ein dunkelhaariger Mann, »ich habe sie mit zwei oder drei Jüngelchen hinter die Kirche gehen sehen. Herr Ingenieur, Ihre Schöne bedient Jüngelchen.«
»Wer will schon was von der wissen? Die hat auch den alten Spanò bedient, bei dem sie in Dienst war«, sagte Gaetano und schaute Stefano an.
Stefano ließ das Tema fallen. Wieder war da das Gefühl körperlicher Einsamkeit, das er unter der festlichen Menge und dem merkwürdigen Himmel da oben den ganzen Tag empfunden hatte. Den ganzen Tag hatte Stefano sich abgesondert wie jenseits aller Zeit, und hatte in die Gassen geschaut, die sich in den Himmel aufaten. Warum hatte Giannino ihm lachend gesagt: »Gehen Sie, gehen Sie mit Fenoaltea. Sie werden Ihren Spaß haben.«
Stefano hätte sich unter die anderen mischen und in dem Raum mit der niedrigen Holzdecke, wo die Weinkrüge zur Kühlung am Fenstersims hingen, unter Geschrei und Gesang den lichten Nachmittag draußen vergessen können. Auch Pierino, der Zöllner, hatte es so gehalten. Oder er hätte, durch den Wein dreist geworden und entschuldigt, Concia unter der vielfarbigen Menge suchen können. Statt dessen hatte Stefano mit den anderen herumgesessen, war mit ihnen umhergezogen und war doch weit entfernt von ihnen gewesen, auf der Suche nach etwas, das der Lärm, das Gelächter und die grelle Musik nur für einen flüchtigen Tag überdeckten. Jenes niedrige Fenster, das sich über dem Nichts zur blauen Wolke des Meeres hin auf tat, war ihm wie das enge, jahrhundertealte Guckloch im Gefängnis dieses Lebens vorgekommen. Dort oben zwischen diesen farblosen gekalkten Mauern gab es Frauen und alte Leute, die nie über das schweigsame Plätzchen und die Gäßchen hinausgekommen waren. Für sie war die Illusion, der ganze Horizont könne hinter einer Hand verschwinden, Wirklichkeit. Hinter seinem Kartenfächer hervor beobachtete Stefano die Gesichter der jungen Leute, die aufgehört hatten zu sprechen. Manche von ihnen waren dort oben geboren. Alle Familien kamen von dort oben. In ihren lebhafen dicht bewimperten Augen, und in der bedenklichen Magerkeit des einen oder anderen schien alle Sehnsucht weiterzuleben, die in dem Nest dort oben, in dem einsamen, vom Himmel umschlossenen Gefängnis durchlitten wurde. Ihr Blick und ihr Lächeln, die so beflissen waren, glichen dem Ausblick aus einem Fensterchen.
»Mir hat das Dorf gefallen«, sagte Stefano und spielte eine Karte aus, »es ähnelt den Kastellen über unseren Dörfern.«
»Würden Sie dort wohnen wollen?« sagte der dunkelhaarige junge Mann lächelnd.
»Man kann überall leben, auch in der Gefangenschaf«, bemerkte Fenoaltea.
»Dort oben würde ich gern mit den Ziegen zusammenleben«, sagte Stefano.
Darin also bestand seine Herzenspein. Concia, sein Mädchen, war die Geliebte eines schmuddeligen alten Mannes und die Wollust der jungen Burschen. Aber hätte er sie anders gewollt? Concia kam aus einer Gegend, deren Nester noch einsamer als das Oberdorf waren. Gestern hatte Stefano beim Anblick eines Balkons mit Geranientöpfen ihrer gedacht, als er lustvoll die klare kräfige Luf atmete, die ihn an ihren federnden Tanzschritt erinnerte. Selbst die schmutzigen niedrigen Räume, wo rote und grüne Papierspitzen jahrhundertealte Backtröge
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