Die Verbannung
Stefano schloß die Augen und verhärtete sein Gesicht.
Fast im Laufschritt ging er den Deich entlang. Ohne
sich umzuwenden, kam er an Concias Haus vorüber. Als er schon fern war, schon dem unverstellten Himmel gegenüberstand, fühlte er in seinem Rücken den Hügel steil aufragen, und er begriff, daß er auf der Flucht war.
Zu seiner Rechten dehnte sich das Meer in seiner Eintönigkeit. Mit hängendem Kopf blieb er stehen, und der Gedanke, daß er Angst gehabt hatte, beruhigte ihn. Er sah das Unsinnige daran sogleich ein. Er begriff, daß Gaetano aus Neid gesprochen hatte, um Gianninos Stelle einzunehmen. Das wurde ihm so klar, daß er sich fragte, warum er sich so geängstigt hatte, wenn er das doch schon begriffen hatte, während Gaetano noch sprach. Darauf gab es nur eine Antwort, und er mußte über sie lächeln: die unsichtbaren Wände, die Gewöhnung an die Zelle, die ihn von jedem menschlichen Kontakt ausschloß. Darauf beruhten auch seine nächtlichen Ängste.
Hoch oben auf dem Hügel mit dem weißen Gipfel stand ein Wölkchen. Die erste Septemberwolke. Er freute sich darüber wie über eine Begegnung. Vielleicht würde das Wetter umschlagen, vielleicht würde es regnen. Dann würde es süß sein, vor der Tür zu sitzen, in die kalte Luf zu starren und zu fühlen, wie das Dorf still wurde. Allein oder mit Giannino und seiner guten Pfeife. Oder vielleicht nicht einmal mit Giannino. Allein sein wie am Fenster des Gefängnisses. Und manchmal Elena, aber ohne zu sprechen.
Elena sprach nicht viel. Aber sie betrachtete Stefano und versuchte, ihm mit einer Hingabe zuzulächeln, die durch ihr Alter mütterlich wirkte. Stefano hätte gewünscht, daß sie am Morgen käme, wie eine Ehefrau in sein Bett schlüpfe, dann aber entschwände wie ein Traum, den es nicht nach Worten und Kompromissen verlangt. Ein geringfügiges Zögern Elenas, ein paar unschlüssige Worte, ja ihre einfache Gegenwart ließen ein mißliches Schuldbewußtsein in ihm aufsteigen. Nur lakonische Gespräche wurden in dem verschlossenen Zimmer geführt.
Eines Abends war Elena gerade gekommen und Stefano hatte ihr, um später allein sein und im Hof rauchen zu können, gesagt, vielleicht werde in einer Stunde jemand kommen – erschreckt und verdrossen hatte Elena sofort wieder weggehen wollen, und Stefano hatte sie nur mit Liebkosungen halten können –, da hörte man Schritte und das Geräusch eines Atems hinter den verriegelten Fensterläden, und eine Stimme erschallte. »Der Wachtmeister«, sagte Elena. »Ich glaube nicht. Wir wollen mal schauen. Da ist doch nichts Schlimmes dabei.« »Nein«, sagte Elena zutiefst erschrocken. »Wer da?« rief Stefano.
Es war Giannino. »Einen Augenblick«, sagte Stefano. »Es ist nicht so wichtig, Herr Ingenieur. Morgen gehe ich auf die Jagd. Kommen Sie mit?«
Als Giannino fortging, wandte Stefano sich um. Elena
stand mit irren Augen im grellen Licht zwischen Wand
und Bett.
»Mach das Licht aus«, stammelte sie.
»Er ist ja fortgegangen …«
»Mach das Licht aus.«
Stefano machte das Licht aus und ging auf sie zu. »Ich gehe fort«, sagte Elena, »ich komme niemals wieder.«
Stefano fühlte sein Herz stocken. »Warum?« stammelte er. »Hast du mich denn nicht lieb?« Über das Bett hinweg ergriff er ihre Hand und drückte sie. Elena verrenkte ihm die Finger, die sie krampfaf drückte. »Du wolltest aufmachen«, murmelte sie, »du wolltest aufmachen. Du haßt mich.« Stefano packte sie am Arm und zog sie aufs Bett herab. Sie küßten sich.
Diesmal hatten sie nicht viel wieder anzuziehen. Als sie ihre Kleider in Ordnung gebracht hatten, gingen sie zur Türe, und Stefano flüsterte ihr ins Ohr: »Kommst du wieder, Elena, kommst du wieder? So müssen wir es machen: du kommst nur, wenn ich bei euch im Laden hereinschaue, um guten Tag zu sagen. Ja, komm lieber sogar erst morgens früh, Elena, wenn noch niemand auf ist. Dann sind wir sicher. Niemand sieht dich. Und wenn jemand kommen sollte, aber es wird niemand kommen, dann tun wir so, als machtest du mir das Zimmer … Ist's recht? Du kommst auf einen Augenblick, wenn ich noch im Bett bin, und verschwindest sofort wieder. Du kommst doch auch gern, nicht wahr?«
Sicherlich lächelte Elena. Plötzlich vernahm Stefano an seinem Ohr ihre ein wenig grobe, aber warme Stimme: »Bist du zufrieden, wenn ich nur auf einen Augenblick komme? Würdest du nicht gerne eine ganze Nacht mit mir zusammen sein?«
»Ich bin eben ungehobelt, das weißt du doch«, sagte
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