Die Verbannung
wir Hungers sterben.«
Auch Concia kam. Auf einer Kiste sitzend betrachtete Stefano das Kieselpflaster und die schmutzige Fassade der Wirtschaf gegenüber, die eine laue Sonne kaum erhellte. Concia erschien auf der Schwelle, keck und geschmeidig wie eine Gerte, so wie sie immer war. Der gleiche dürfige Rock über ihren Hüfen, die gleichen sonnengebräunten Beine; sie war nicht mehr barfuß, sondern schlüpfte, ohne sich zu bücken, auf der Schwelle aus ihren Holzpantinen. Mit dem alten Fenoaltea und mit Gaetano sprach sie in neckischem Ton, und der Alte lachte, über seinen Ladentisch gebeugt. Gaetanos Mutter, ein dickes graues Weiblein, übernahm es, Concia zu bedienen, die sich von Zeit zu Zeit umdrehte und zu Stefano und der Tür hinüberschaute.
»Wie geht es Ihrer Kleinen?« fragte Gaetanos Mutter schweratmig.
»Meine Toschina blüht und gedeiht«, erwiderte Concia, und ihre Hüfen wippten. »Und ihre Verwandten mögen sie gern.«
Auch die Alte lachte gutmütig. Als Concia lachend fortging, fiel Stefano nichts anderes ein, als ihr einen gleichgültigen Gruß zuzunicken. Von der Tür schaute Concia, während sie in ihre Pantinen schlüpfe, noch einmal zu Stefano hinüber.
»Gefällt Sie Ihnen immer noch so gut?« fragte Gaetano mit schmalen Lippen, aber nicht so, daß es nicht der ganze Laden hörte. Seine Mutter schüttelte den Kopf. Der alte Fenoaltea mit seinem fetten, schlauen Lächeln schaute in die Runde und sagte: »Ja, die ist wahrhafig ein Kind der Berge.«
»Was reden wir hier viel herum, los!« sagte die Mutter.
Am Weihnachtstag lud ihn die Alte aus der Wirtschaf, eine Tante Gaetanos, zu einem Stück Gewürztorte ein, wie man sie in allen Häusern aß. Niemand von den üblichen Gästen kam zu einem Schwatz vorüber. Stefano aß ein bißchen von der Torte, machte sich dann auf den Heimweg und verglich seine Einsamkeit mit der des Anarchisten dort oben. Barbariccia war kurz zuvor vorbeigekommen, hatte seine Mütze gezogen und um ein Weihnachtsalmosen gebeten: um Zigaretten und Streichhölzer, viele Streichhölzer. Er hatte auf keinerlei Botschafen angespielt. Gegen Abend kam Gaetano in den Hof, den er noch nie betreten hatte, um ihn zu holen. Stefano kam erschrocken aus dem Zimmer, um ihn an der Tür abzufangen. »Oh, Fenoaltea, was ist geschehen?«
Gaetano kam, um sein Versprechen zu halten. Er erklärte ihm leise, eine Frau sei ausfindig gemacht und alles mit dem Autoschlosser abgesprochen worden. Sie hätten sich zu viert zusammengetan, der Autoschlosser fahre in die Stadt, lade sie in sein Auto, und dann würden sie sie zwei Tage im Zimmer des Schneiders unterbringen.
»Das ist doch nichts für Weihnachten«, stotterte Stefano lachend.
Pikiert antwortete Gaetano, es handle sich nicht um heute. Das Mädchen – sie sei hübsch, Antonino kenne sie – wolle vierzig Lire: man müsse sich darein teilen.
»Sind Sie einverstanden, Herr Ingenieur?«
Stefano gab ihm das Geld, um das Gespräch zu beenden. »Ich bitte Sie nicht herein, weil es zu schmutzig ist.«
Gaetano sagte leichthin: »Sie sind hier doch gut aufgehoben. Sie brauchten nur eine Frau zum Saubermachen.«
»Das ist das erste Mal«, sagte Stefano, »daß ich eine Frau unbesehen nehme.«
Gaetano sagte: »Wir machen das immer so.« Und er drückte ihm überströmend herzlich die Hand. Eines Morgens rauchte Stefano seine Pfeife in der Wirtschaf, als er Gaetano und den Autoschlosser vorsichtig hereinkommen sah. Beim Anblick von Beppes magerem Gesicht mußte er an Giannino denken, der mit ihm die letzte Fahrt gemacht hatte. Gaetano tippte ihm ernst auf die Schulter: »Kommen Sie, Herr Ingenieur.« Da erinnerte er sich.
Der Schneider, ein rotes Männchen, empfing sie unter tausend Vorsichtsmaßnahmen in seiner Werkstatt. »Sie ist gerade beim Essen«, sagte er. »Habe die Ehre, Herr Ingenieur. Niemand hat Sie doch gesehen? Sie ist gerade beim Essen. Die Nacht hat sie mit Antonino verbracht.«
Das hölzerne Türchen zum Hinterzimmer wollte nicht
aufgehen. Stefano sagte: »Wir wollen gehen. Wir wollen nicht stören«, und er machte seine Pfeife aus. Aber alle gingen hinein, und so ging auch er hinein. Das winzige Zimmerchen hatte eine schräge Decke, und die Frau saß ohne Bluse auf der zerwühlten Matratze und löffelte etwas aus einer Schüssel. Gelassen schaute sie allen ins Gesicht und hielt dabei die Schüssel auf dem Rock zwischen ihren Knien. Ihre Füße reichten nicht bis zum Boden, so daß sie wie ein dickes Kind
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